Von Lars Hartfelder: „Von Helden kann keine Rede sein“
Der 76-jährige Arnold Mosshammer überlebte als Kind die Kesselschlacht von Halbe im Keller. Heute kämpft er im Aktionsbündnis gegen Neonazis
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Halbe - Nachdenklich schaut Arnold Mosshammer über den Teich vor seinem Haus in Halbe (Dahme-Spreewald). Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich die Reste des alten Karosserie-Werkes, in dessen Keller der damals 12-Jährige die Kesselschlacht um Halbe zwischen deutschen und sowjetischen Truppen in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges überlebt hat. Nach dem Gefecht offenbarte sich ihm ein Bild des Grauens: „Auf den Straßen lagen die Toten dicht nebeneinander, blutüberströmt“, berichtet er.
Rund 28 000 Menschen fielen der Schlacht um Halbe zum Opfer. Die kleine Stadt geriet in den 1990er Jahren in die Schlagzeilen, als jährlich am Vortag des Volkstrauertags Hunderte Neonazis zum „Heldengedenken“ nach Halbe kamen. „Von Helden kann keine Rede sein. Das waren damals junge Menschen, die nicht sterben, sondern nach Hause wollten“, sagt der 76-Jährige mit energischer Stimme. Seit Jahren engagiert sich der Rentner beim Aktionsbündnis gegen Heldengedenken und Naziaufmärsche in Halbe.
Mosshammer war mit seiner Mutter und Großmutter erst 1943 von Berlin-Tempelhof nach Halbe gekommen. „Wir mussten die Stadt verlassen, um den Bombenangriffen zu entgehen“, erinnert er sich. Anfang 1945 rückte die Front in Halbe immer näher. „Das spürten wir direkt, da in den Dörfern immer häufiger Flüchtlinge auftauchten.“ Ende März sei der Schulbetrieb eingestellt worden. Das Donnern der Kanonen und Artilleriegranaten war inzwischen bis Halbe zu hören. „Ein Mann vom Karosserie-Werk gewährte uns dann Zuflucht im dortigen Keller“, erzählt Mosshammer. Der Raum sei als Luftschutzbunker ausgelegt gewesen, mit verriegelbaren Türen. Gemeinsam mit rund 50 anderen Kindern, Frauen und Männern harrten sie dort ab dem 24. April eine Woche lang Tag und Nacht aus. Hin und wieder seien auch geflüchtete deutsche Soldaten in den Keller gekommen. In Halbe sollten sich mehrere deutsche Divisionen vereinen und zum Gegenschlag ausholen. Ein Irrsinn. „Im Prinzip war allen klar, dass der Krieg verloren ist“, sagt Mosshammer. Doch geäußert habe dies niemand, aus Angst, exekutiert zu werden. „Die Tage der Kesselschlacht waren schrecklich“, erinnert er sich. Eine Woche hätten die Menschen in dem Luftschutzkeller gekauert, bevor die Kampfhandlungen am 30. April endeten. „Wir öffneten die Tür und gingen raus. Totenstille“, sagt Mosshammer. Das erste, woran sich der Rentner erinnert, ist ein sowjetischer Offizier. „Er hat uns aufgefordert, Halbe zu verlassen.“ In einem Nachbardorf habe er mit seiner Familie dann für einige Tage in einer Scheune übernachtet. Auf dem Weg dorthin sei das Grauen des Krieges deutlich geworden. „Fast alle Häuser waren zerstört, überall lagen Tote“, berichtet er.
Das Behelfsheim von Mosshammers Familie war dagegen weitgehend unbeschädigt geblieben. Dort hätten sich zwei deutsche und ein sowjetischer Soldat versteckt und das Ende des Krieges abgewartet.
„Die kommenden Wochen und Monate waren alle Überlebenden damit beschäftigt, die Toten zu begraben“, sagt Mosshammer. Viele Soldaten hätten keine Kennmarken mehr am Körper getragen, eine Identifizierung sei deshalb nur selten möglich gewesen. Die Gefallenen seien oft an Ort und Stelle, in Schützengräben oder Vorgärten, beerdigt worden. Erst Anfang der 1950er Jahre wurden die sterblichen Überreste exhumiert und auf dem heutigen Soldatenfriedhof in Halbe begraben.
„Die Naziaufmärsche seit 1991 waren erschütternd“, sagt Mosshammer. Dass der Friedhof einmal so missbraucht würde, hätte er sich nie vorstellen können. Zwar gebe es mittlerweile solche rechtsextremen Versammlungen nicht mehr in Halbe – auch für dieses Jahr wúrde er von der Rechten, die auf Jahre hinaus Demonstrationen für den Tag angemeldet hatten, abgesagt. Doch, so Mosshammer, müssten die Stadt und die Region wachsam bleiben. Er ist überzeugt: „Mit dem Bürgerfest für Demokratie und Toleranz an diesem Samstag setzen die Menschen vor Ort ein Zeichen.“
Lars Hartfelder
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