LEUTE in Potsdam: 400 Bewerbungen, nun Ich-AG
Zum Arbeiten zu alt? Nicht Christiane Raetzsch, sie macht Angebote für Senioren
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Christiane Raetzsch will arbeiten. 400 Bewerbungen hat sie geschrieben. Alle waren erfolglos. Dabei ist die asketisch wirkende Frau außergewöhnlich breit qualifiziert: Die Potsdamerin ist Buchbinderin, Laborantin, Schweinezüchterin und Arzthelferin. Sie bildete sich zur Medizinischen Dokumentationsassistentin und zur Medizinprodukteberaterin weiter. Ein möglicher Arbeitgeber sagte es ihr aber am Telefon direkt: „In ihrem Alter werden Sie keine Arbeit mehr bekommen“. In gewisser Weise sollte er sich irren, denn die 52-jährige zweifache Mutter verfährt nach der Devise, wer keine Arbeit hat, der macht sich welche. Seit dem 1. Juli dieses Jahres arbeitslos, gründete sie zum 1. November eine Ich-AG „Familie-Senioren-Gesundheit“. Sie bietet Gesundheitsberatung, Gedächtnistraining, Magnetfeldtherapie und Seniorengymnastik sowie Hilfe im Haushalt an. Freilich besitzt sie für alle Angebote entsprechende Weiterbildungszertifikate. Momentan wird sie noch häufig von einer Zeitarbeitsfirma als Subunternehmerin eingesetzt – für fünf Euro die Stunde. Davon will sie jedoch wegkommen: „Ich will arbeiten und Qualität leisten und dafür auch gut bezahlt werden.“ Momentan bekommt sie noch 600 Euro monatlichen Zuschuss von der Agentur für Arbeit, etwa 400 Euro schafft ihre kleine Firma – also sie – im Monat zu erwirtschaften. Sie weiß, dass aller Anfang in der Selbständigkeit hart ist. Mit Flyern, die sie etwa in Arztpraxen hinterlegt, wirbt sie um Kunden, die sie zur Betreuung ihrer Verwandten einsetzen wollen. Eine Zeit lang arbeitete Christiane Raetzsch ehrenamtlich im Hospizdienst. „Es ist wichtig, dass es einen Außenstehenden gibt“, weiß sie. Viele Verwandte kämen nicht mit dem Tod zurecht, das Sterben sei ein ausgegrenztes Thema. Sie erinnert sich an eine Frau, die anscheinend so lange damit wartete, bis sie da war. „Jetzt bin ich in Obhut“, interpretiert sie den letzten Blick der Sterbenden. Professionelle Sterbebegleitung, auch dieses Angebot offeriert die ehemalige Leiterin einer Senioren-Begegnungsstätte nun auf dem Markt.
Ostalgie kennt Christiane Raetzsch nicht. Durch die Wende 1989 sei ihr „ein Stein vom Rücken gerollt“. Die Hobbyreiterin und -seglerin – ihr Eltern hatten bis zur Bombennacht 1945 eine Bootswerft auf der Freundschaftsinsel – träumt von Afrika. In Marokko war sie mit ihrem Mann schon, irgendwann, das weiß sie, werden sie nach Kenia reisen. G. Berg
Christiane Raetzsch, Tel.: (0331) 50 16 50 oder 0160/98 66 78 25 bzw. per e-mail: christiane.raetzsch@web.de
G. Berg
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