zum Hauptinhalt

SERIE: 60 Jahre Filmuni Bergmann-Filme und nur wenig Rotlicht

Von Dieter Wiedemann

Stand:

Die Filmuniversität Potsdam wird in diesem Jahr 60 Jahre alt. Als Hochschule für Film und Fernsehen HFF hat sie Jahrzehnte des Filmschaffens in Babelsberg mitgeprägt. Ehemalige Studierende erinnern sich nun in den PNN an ihre Studienzeit.

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich in Babelsberg ankam: Die Folgen eines Absturzes in Zakopane hatten mich ein paar Monate ans Krankenbett gefesselt, sodass ich nicht gemeinsam mit meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen von der Theaterhochschule Leipzig mein Hauptstudium an der HFF beginnen konnte. Die Eröffnung des zweiten Programms des DDR-Fernsehens am 3. (!) Oktober 1969 hatte den Personalbedarf des Fernsehens wesentlich erhöht, sodass ein Teil der in Leipzig studierenden Theaterwissenschaftler kurzerhand auf Film- und Fernsehwissenschaftler in Babelsberg umgeschult werden sollte. Es war neblig, als ich irgendwann im November 1969 in Babelsberg ankam und von einem netten O-Busfahrer darauf hingewiesen wurde, dass ich einen Grenzausweis bräuchte, wenn ich in die Karl-Marx-Straße 33 wolle. Der lag in der Studierendenabteilung für mich schon bereit und in der Domstraße 1 war auch ein Bett für mich reserviert. Ich traf meine Leipziger Truppe und die führte mich in die Besonderheiten unserer neuen Hochschule ein, die da lauteten: Der neue Rektor ist ein Fernsehmann und das DDR-Fernsehen hat überhaupt das Sagen; unser ebenfalls neuer Fachrichtungsleiter, Dr. Peter Wuss, hat in der Sowjetunion promoviert und liebt die Semiotik und die Kybernetik; ohne Grenzausweis geht hier nichts, zu den Berliner Theatern ist es ziemlich weit, und: Der Studienplan ist okay.

Mithilfe meines Kalenders aus den Jahren 1970 und 1971 werde ich daran erinnert, dass es im Januar 1970 ein Winterlager in Klingenthal mit Langlauf, Skispringen und viel Glühwein gab und dass ich, nachdem ich 1990 an die HFF zurückgekehrt war, schon ein Jahr später diesen Luxus als verzichtbar für die Ausbildung erklären musste.

Ich habe in den zwei Jahren meines Hauptstudiums in Babelsberg ungeheuer viele Filme gesehen: Mein Kalender für das Jahr 1970 weist 121 Spielfilme und 114 Dokumentarfilme aus, ich war als Dramaturg an einem Dokumentarfilm beteiligt und habe für ein Arbeitertheater Texte geschrieben und Dramaturgie gemacht. Wir waren aber auch der Jahrgang, der nach der Exmatrikulation von Thomas Brasch an die HFF kam, und zu unserem Studienjahr stießen Kommilitonen, die 1968 nicht zu den Protestierenden wie Thomas Brasch gehörten.

Irgendwann zogen wir von der Domstraße in die Studierenden-Baracken in die Sandscholle um, in etwa dort, wo heute die Filmuniversität steht, und in der Gemeinschaftsküche wurde irakisch, libanesisch, vietnamesisch und manchmal afrikanisch gekocht.

Da wir an der HFF nur unser Hauptstudium absolvierten, hielt sich die „Rotlichtbestrahlung“ bei uns in Grenzen: Karl-Eduard von Schnitzler und Günter Herlt vermittelten allerdings den „richtigen Klassenstandpunkt“ in einigen Vorlesungen zum Fernsehjournalismus und in den obligatorischen Filmabnahmen. Peter Wuss hatten wir es zu verdanken, dass wir einige der Filme, die nicht in die DDR-Kinos kamen, in einer Sondervorführung in der Defa sehen konnten, zum Beispiel Filme von Ingmar Bergmann! Zudem war auch damals schon der Besuch der Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche obligatorisch. Wir mussten für den täglichen Newsletter des Festivals Interviews führen und Rezensionen schreiben.

In den Baracken an der Sandscholle haben wir nächtelang über Biermann-Texte diskutiert, die wir vorher auf der Schreibmaschine mit Durchschlägen abgeschrieben haben, uns mit Satre beschäftigt und ein Kommilitone hat zur Gitarre Texte von Franz-Josef Degenhardt gesungen. Dazu tranken wir ungarischen oder bulgarischen Rotwein – und wenn das Stipendium alle war: Tee. Unser Studentenleben spielte sich eigentlich zwischen der Karl-Marx-Straße und der Sandscholle mit dem Bindeglied O-Bus ab, dazu kamen ein paar Theaterbesuche in Berlin und ein paar Recherchereisen für unsere Filmprojekte. Durch meine Mitarbeit in einem Arbeitertheater lernte ich relativ viele Orte im damaligen Bezirk Potsdam kennen, weil wir mit unseren Inszenierungen durch den ganzen Bezirk tourten.

Im Juli 1971 war mein erstes Gastspiel an der HFF beendet, ich bekam mein Diplom und ging statt zur Defa, wo ich eigentlich eingeplant war, an ein Forschungsinstitut nach Leipzig.

Dieter Wiedemann studierte von 1969 bis 1971 an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“. Von 1995 bis 2012 leitete er die Einrichtung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })