Aus dem GERICHTSSAAL: 83-Jähriger als Seriendieb
Tod der Ehefrau warf den Rentner aus der Bahn
Stand:
Es war eine nicht bezahlte Zeitung im Wert von einem Euro, die Herbert H.* (83) auf die Anklagebank brachte. Der Rentner erhielt für den Diebstahl gestern im beschleunigten Verfahren eine Geldstrafe von 2400 Euro. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.
Die Staatsanwaltschaft hatte das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung betont. Schließlich stand der Senior schon zum siebenten Mal vor dem Amtsgericht – immer, weil er lange Finger gemacht hatte. Stets wurde er mit Geldstrafen sanktioniert. Deren Summen wurden immer größer. „Es ist wirklich schon passiert, dass Leute wegen eines Diebesgutes von zwei Euro in den Knast gekommen sind, weil sie sich systematisch hochgearbeitet haben“, gab die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft zu bedenken. Sie hatte auf eine Geldstrafe von 3600 Euro plädiert.
Amtsrichterin Kerstin Nitsche stellte klar: „Für Sie ist es inzwischen nicht fünf Minuten, sondern zwei Minuten vor zwölf. Das nächste Mal kassieren Sie eine Freiheitsstrafe.“ Herbert H. – akkurat gekleidet, streng nach hinten gekämmte graue Haare, vor Aufregung errötetes Gesicht – blickte erschrocken. „Um Gottes willen, bloß das nicht. Sperren Sie mich nicht ein“, murmelte er.
Begonnen hatte die Diebstahlsserie im Jahr 2000. Obwohl die Rente des Witwers über dem Durchschnitt liegt, steckte er Waren – meist Kinkerlitzchen – ein, deren Bezahlung für ihn kein Problem gewesen wäre. Die letzte Verurteilung liegt gerade acht Monate zurück. „Gibt Ihnen das Stehlen einen besonderen Kick?“, fragte Richterin Nitsche. Herbert H. schüttelte den Kopf. „Ich weiß selber nicht, warum ich das mache“, räumte er ein. Dann erzählte er: „Die Goldene Hochzeit habe ich 1999 noch mit meiner Frau gefeiert. Im Jahr darauf hat sie sich verabschiedet. Da bin ich ins Schleudern gekommen.“
„Mein Mandant hat den Tod seiner Ehefrau immer noch nicht verarbeitet“, schätzte Rechtsanwalt Gordon Krämer ein. Herbert H. sei ein ordentlicher, gewissenhafter Mensch, der seinen Haushalt seitdem allein führt. Er pflegt guten Kontakt zu seinen beiden Söhnen, die im Potsdamer Umland wohnen. Doch manchmal gehe er los und tue Dinge, über die er im Nachhinein nur den Kopf schütteln könne. „Ich habe ihm dringend geraten, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen“, so der Verteidiger.
„Es war völlig idiotisch, was ich an diesem 21. April gemacht habe“, meinte der Angeklagte zerknirscht. „Ich habe mir die Zeitung angeschaut und sie dann einfach eingesteckt. Keine Ahnung, warum.“ „Wissen Ihre Söhne eigentlich von Ihren häufigen Aufenthalten bei Gericht?“, hakte die Staatsanwältin nach. Herbert H. erwiderte, die hätten keine Ahnung. Er würde sich schämen, seinen Kindern zu erzählen, dass er in schöner Regelmäßigkeit mit dem Gesetz kollidierte. „Überlegen Sie mal, ob Sie ihnen nicht reinen Wein einschenken“, riet die Vertreterin der Anklage. „Ihre Kinder wissen offenbar gar nicht, was Sie für Probleme haben.“
„Das war eine teure Zeitung“, resümierte die Vorsitzende. „ Sie haben heute – mit Zudrücken von zehn Augen – letztmalig eine Geldstrafe erhalten. Deren Höhe sei allerdings „reichlich“, monierte der Angeklagte. Dann versprach er: „ Ich will bestimmt nicht wieder stehlen. Das Maß ist jetzt wirklich voll. Und ich werde mich umgehend in ärztliche Behandlung begeben.“ (Name von der Redaktion geändert)
Gabriele Hohenstein
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