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Fachsymposium: Konsum von Fernsehen und Video-Spielen macht aggressiv

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Der Konsum von Medien, besonders aber von Fernsehen und Video-Spielen macht definitiv aggressiv. Und weltweit gibt es keine Unterschiede. Unter den führenden Psychologen, die auf dem Gebiet der Mediengewalt forschen und zu einem Fachsymposium auf Hermannswerder zusammen gekommen sind, herrscht Einigkeit. Ob in den USA, Deutschland, Holland oder Polen, das Medienverhalten gleiche sich überall. „Kinder und Jugendliche spielen überall die selben Videospiele“, sagte Rowell Huesmann von der Michigan University in Ann Arbor. Während der Humor von Land zu Land divergiere, sei Gewalt eine international gesprochene Sprache, die mühelos exportiert werden könne. „Wenn eine Pistole auf dem Bildschirm auf dich gerichtet ist, dann duckst du dich überall auf der Welt“, so Steven J. Kirsh von der State University of New York –Geneseo.

Sogar die Lektüre der gewaltsamen Stellen im Alten Testament erhöhe nachweislich die Aggression, berichtet Brad J. Bushman, auch aus Ann Arbor, über Experimente. Doch bei Video- und Computerspielen sei die Identifikation mit dem Gewalt ausübenden Charakter Teil des Spiels. Der Mensch lerne besser, wenn er aktiv in die Handlung eingebunden wäre, so Bushman, zumal er of noch verbal für sein gewaltsames Handeln gelobt würde. „Nice shot!“, ertöne häufig eine bekräftigende Stimme, wenn im Spiel eine Figur getötet wurde. Da wundere es nicht, wenn die US Army Video-Spiele zur Ausbildung ihrer Soldaten nutze. „Ein sehr leistungsfähiger Lernmechanismus“, so Huesmann.

Untersuchungen zum Aggressionsverhalten stützen sich zumeist auf Experimente, bei denen die Versuchspersonen mittels einer „Geräusch-Angriffs-Einheit“ andere mit Lautstärke quälen können, nachdem sie zuvor Gewaltszenen im Fernsehen gesehen oder am Computer durchgespielt haben. Bushman, der auch in Amsterdam lehrt, berichtet von erschütternden Versuchen in Holland. Kinder waren bereit, wissentlich Unbekannte mit solcher Lärmdosis zu beschallen, dass sie eigentlich davon ihr Gehör verlieren müssten. Natürlich beruhte der Versuchsaufbau auf einer versteckten Simulation, die eingeweihten Probanten nahmen körperlich keinen Schaden.

Den Psychologen geht es jedoch nicht nur um diese handfeste Gewalt, wie sie später vielleicht in Gewaltdelikten zum Ausdruck kommen kann. In ihren Ansätzen untersuchen sie in Langzeitstudien das Entstehen von Aggressivität als Vorstufe dazu. Wie gehen Kinder mit ihren Eltern um, schreien sie herum, bedrängen sie andere? „Man kann durch diese Untersuchungen natürlich nicht vorhersagen, wer später ein Mörder sein wird“, schränkt Bushman ein. Aber man könne an den Aggressivitätsmustern jene herausfiltern, bei denen das Risiko erhöht ist. Dabei sei die Gewalt durch Medien natürlich nicht der einzige Risiko-Faktor für spätere Gewalt. Aber, so die Experten, die Medien seien nachweislich fast der stärkste Faktor. Stärker als zum Beispiel Armut. Nur die Mitgliedschaft in einer Straßengang wirke auf das spätere Verhalten noch negativer.

Wie sollten Eltern reagieren? Dem familiären Umfeld kommt die Rolle eines Schutzfaktors zu. FBI-„Profiler“ haben von allen Tätern der jüngsten Schulmassaker in den USA ein Profil erstellt. Längst nicht alle waren exzessive Nutzer von brutalen „Egoshooter“-Spielen, doch alle einte das Merkmal, sich von Eltern, Mitschülern oder Lehrern zurückgestoßen zu fühlen.

Am hilfreichsten wäre es also, so Bushman, wenn Eltern mit ihren Kindern über die Gewalt, die täglich ins Kinderzimmer dringe, ins Gespräch kommen. Die Wirklichkeit sieht jedoch oft anders aus. Neunzig Prozent aller Eltern nutzen Video, Spiele und Fernsehen als Babysitter. Dabei könnten Kinder bis zum siebten Lebensjahr noch nicht zwischen Wirklichkeit und TV-Realität unterscheiden. Es helfe nichts, wenn Eltern beschwichtigten: „Ist ja nur ein Cartoon!“

In einer Studie wurden Erstklässler gefragt, in wie weit die gezeigte TV-Sendung die Realität abbilde. Fast die Hälfte gab an, die fantastische Action-Serie „Drei Engel für Charlie“ zeige das Leben so, wie es wirklich sei. Bis zu 10 000 Morde sehen junge Medienkonsumenten bis zu ihrer Reife. Huesmann dazu: „Die Welt erscheint dem Kind als wesentlich feindlicher und brutaler als sie in Wirklichkeit ist.“

Altersbeschränkungen und freiwillige Selbstkontrolle der Spielindustrie halten die Wissenschaftler für nur bedingt geeignet, aggressives und gewalttätiges Verhalten unter Kontrolle zu halten. Nachweislich verdoppele eine Warnplakette die Bekanntheit eines Spiels oder Films bei den Kindern. Barbara Krahé von der Universität Potsdam, die zum Symposium eingeladen hatte, nannte erschreckende Zahlen. Bereits zwanzig Prozent der befragten 12- und13-Jährigen hatten bereits Erfahrungen mit Spielen, die erst für über 16-Jährige zugänglich sein sollten. Trotz dieser Fakten wissen die Forscher noch nicht genau, warum Mediengewalt für Kinder und Jugendliche so attraktiv ist. Lucyna Kirwil aus Warschau glaubt, Kinder würden nicht nur aus Spaß spielen, sondern weil sie am Bildschirm zu lernen meinten, wie sie ihre Ängste vor Gewalt überwinden können.

Genau diese Funktion sollten Eltern mit Unterstützung der Experten übernehmen. „Wir können nicht verhindern, dass die Kids diese Spiele spielen“, meint Kirsh, „aber wir können ihnen beibringen, was sie tun müssen, wenn Aggressionen auftauchen.“

Matthias Hassenpflug

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