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Landeshauptstadt: Abgebaggerte Dörfer

Beim „Tag der abgebaggerten Dörfer“ wurde am Samstag eine Gedenkstätte eingeweiht

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Cottbus - Günther Mucha denkt oft an sein ehemaliges Heimatdorf Tranitz bei Cottbus zurück. „Meine Kinder- und Jugendzeit habe ich hier verbracht“, erinnert sich der 67-Jährige an den erstmals im Jahr 1463 erwähnten Ort, der 1982 dem Braunkohletagebau weichen musste. „Es gab zwar keine Schule und Kirche, dafür aber ein verlassenes Schloss, eine Kneipe und einen bunten Dorfladen wie bei Erwin Strittmatter“, erzählt der jetzt mit seiner Frau und den beiden Söhnen in Frankfurt (Oder) lebende Mann.

Am vergangenen Samstag hat der ehemalige Tranitzer beim 13. „Tag der abgebaggerten sorbischen Dörfer“ auf dem rekultivierten Gebiet des Braunkohletagebaus Cottbus-Nord eine Ansprache halten. Auf sieben eng beschriebenen Seiten „kommt alles drin vor, was ich mir nach 28 Jahren Heimatverlust von der Seele reden muss“, sagte Mucha zuvor.

Sein Exkurs in die Vergangenheit einer damals intakten Dorfgemeinschaft mit zuletzt 171 Einwohnern reicht dabei vom zwei Kilometer langen Schulweg ins Nachbardorf über die Lehre als „Strippenzieher“ in Cottbus bis zum Totentanz im Januar 1982. „Da wurde in der Gaststätte das ''Fell'' versoffen und unser sorbisches Dorf Tranitz für immer zu Grabe getragen“, resümiert der Elektromeister.

Bereits Jahre vor der Vertreibung seien die Bagger des Braunkohletagebaus Cottbus-Nord immer näher gerückt. Die Stimmung sei daher bei den vielen Traditions- und Brauchtumsveranstaltungen – wie der sorbischen Fastnacht, der Woklapnica (Rechenschaftslegung des Bürgermeisters), dem Osterfeuer oder dem Tranitzer Hahnrupfen – gedrückt gewesen. Plötzlich habe der Begriff „Heimat“ für die Einwohner eine neue Dimension bekommen.

Im Frühjahr 1982 wurde dann die Gemeinde Tranitz – was auf deutsch Gras bedeutet – im damaligen Kreis Cottbus aufgelöst. „Die Zeit hat die früheren Einwohner in alle Richtungen verstreut“, sagt der stellvertretende Geschäftsführer der Domowina – Bund Lausitzer Sorben, Harald Konzack. Er wundert sich deshalb über den starken Zusammenhalt der Tranitzer bis heute, obwohl es zu DDR-Zeiten noch keine Umsiedlungsprogramme gegeben habe.

„Wir Sorben halten so fest zusammen, da kennt jeder jeden bis in die letzte Stube“, sagt der ehemalige Lehrer Waldemar Lobert aus dem einstigen Dorf. Der 67-Jährige freut sich, dass er am Samstag den zweisprachigen Gedenkstein für sein Heimatdorf in der neuen Erinnerungs- und Begegnungsstätte auf dem Kippengelände enthüllen durfte.

Auch eine Informationstafel in deutscher und sorbischer Sprache wurde enthüllt. Sie erinnert – wie die Totenkreuze in Lakoma bei Cottbus, wo 1998 der erste „Tag der abgebaggerten sorbischen Dörfer“ stattgefunden hatte – an die bisher 136 ganz oder teilweise wegen der Braunkohle verschwundenen Orte in der Lausitz. Das Archiv verschwundener Orte im neuen Stadtteil Forst-Horno dokumentiert seit 2006 mit einer Ausstellung die Schicksale. Britta Beyer

www.verschwundene-orte.de

Britta Beyer

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