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Biologisches Vorbild. Die Mohnkapsel stand 1920 Pate für einen Streuer.

© Uni Potsdam

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Der Botanische Garten der Universität informiert in einer Ausstellung über das Forschungsfeld Bionik

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Zwischen den gelben und roten Blüten der Kapuzinerkresse ragen die großen, grün und violett schimmernden Blätter des Kohls hervor. Der Schlafmohn leuchtet in Rosa und Rot, daneben sind die letzten Löwenzähne verblüht. Die Schirmchen der Pusteblumen sind fast alle schon davon geflogen. Doch an den tennisballgroßen Fruchtständen des Bocksbarts kann man sie noch bewundern, die kleinen Fallschirmchen, an denen die winzigen Samen hängen. Der nächste Windstoß trägt sie davon und sorgt so für die Verbreitung der Pflanze.

Auch die Spitzklette und der gelb blühende Odermennig, deren Früchte mit kleinen Widerhaken versehen sind, die sich an das Fell vorbeikommender Tiere heften, wachsen auf diesem Beet im Freigelände des Botanischen Gartens der Universität Potsdam. Es wurde eigens für die Ausstellung „Was die Technik von Pflanzen lernen kann - Bionik in Botanischen Gärten“ angelegt, denn die Pflanzen, die hier zu sehen sind, haben eines gemeinsam: Sie liefern die Vorlagen für wichtige Erfindungen des Menschen, von ihnen haben sich findige Tüftler inspirieren lassen und etwa das Prinzip des Klettverschlusses oder des Fallschirms abgeschaut.

Der interdisziplinäre Wissenschaftszweig Bionik – ein Kunstwort aus Biologie und Technik – steht für die praktische Umsetzung von Erfindungen der Natur in die Technik. Biologen, Ingenieure, Architekten, Physiker oder Chemiker arbeiten gemeinsam daran, den schier unerschöpflichen Fundus natürlicher Formen, Strukturen und Funktionen zu sichten und daraus innovative technische Anwendungen zu entwickeln. In den letzten zehn Jahren hat die Disziplin einen enormen Aufschwung erlebt, seit 2008 werden mit dem „Bionic Award“ besonders gelungene Produktentwicklungen des wissenschaftlichen Nachwuchses prämiert. Denn Bionik gilt als wichtige Zukunftstechnologie.

Michael Burkart, Kustos des Botanischen Gartens, nimmt eine Spritzflasche in die Hand. Die Kohlköpfe bekommen einen Strahl Wasser ab. Es rinnt in Perlen hinunter und hinterlässt nicht die geringste Spur von Nässe auf den Blättern. „Das kann jeder beim Kohlkochen in der Küche selbst mal ausprobieren“, so Burkart. Lotuseffekt – so nennt sich das Phänomen des abperlenden Wassers, dessen Ursachen in der Oberflächenbeschaffenheit der Blätter liegen. Eine Infotafel neben dem Beet erklärt, wie es funktioniert: Nanostrukturen aus Wachs sorgen dafür, dass sich auf den Blättern von Lotusblume, Kapuzinerkresse oder Kohl kein Wasser halten kann. Die abfließenden Tropfen reißen Schmutz, Sporen und Mikroorganismen mit sich. Dieser Selbstreinigungseffekt hat inzwischen auch in der Praxis Anwendung gefunden. Fassadenfarben, die diesen Mechanismus imitieren, werden nie schmutzig.

Wenige Meter von Kapuzinerkresse und Klette entfernt steht eine weitere Pflanze, die Inspiration und Vorbild für Bioniker ist: Die Blattadern des Frauenhaarfarns sind so angeordnet, dass jede Zelle der Pflanze optimal mit Wasser und Nährstoffen versorgt wird. Dieses hocheffiziente Versorgungssystem ist auch für Ingenieure interessant: „Konventionelle Wärmeaustauscher haben ein regelmäßiges Muster. Wenn man das Wärmeleitsystem so anordnet wie in diesem Farn, oder wie auch in Ginkgo-Blättern, dann bekommt man eine deutlich höhere Effektivität“, erklärt Michael Burkart. Statt wie bisher lediglich parallel werden die bionisch inspirierten Kanalstrukturen verzweigt angeordnet. Somit sorgen sie für eine höhere Energieausbeute, etwa bei Sonnenkollektoren, wie Forscher des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme in Freiburg herausfanden.

Ob die Selbstheilung des Gummibaums, der mit seinem Milchsaft Wunden rasch versiegelt oder die Hohlstängel des Bambus, die durch den Einzug von Querwänden in bestimmten Abständen eine besonders hohe Stabilität erreichen – die Vielfalt der Pflanzen als bionische Vorbilder ist groß. Das erste Patent für eine bionische Erfindung wurde in Deutschland1920 für einen „bionischen Streuer“ erteilt, der der Mohnkapsel nachempfunden war. Eine der Bionik-Pflanzen hat es Kustos Burkart besonders angetan: Die Lotusblume, die ihre Blätter selbst reinigt. „Ich kenne Wilhelm Barthlott und Christoph Neinhuis – die beiden Forscher, die den Lotuseffekt entdeckt haben, persönlich“, so Burkart. Wenn sich spannende Forschung mit solchen biografischen Elementen verbinde, sei das für ihn besonders reizvoll.

Die aktuelle Ausstellung, die vom Verband der Botanischen Gärten zeitgleich in etwa 40 Gärten gezeigt wird, erzählt in 20 großen und 15 kleinen Infotafeln und den dazugehörigen pflanzlichen Ausstellungsstücken über Anfänge und Gegenwart der Bionik. Heike Kampe

Die Ausstellung „Was die Technik von Pflanzen lernen kann – Bionik in Botanischen Gärten“ kann noch bis zum 3. Oktober, täglich von 9.30 bis 17 Uhr im Botanische Garten, Maulbeerallee 2, besichtigt werden. Führungen nach vorheriger Anmeldung (Tel.: 977 1952).

Heike Kampe

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