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Ältere Semester. Wer noch nicht auf Bachelor oder Master studiert, muss sich mit dem Abschluss sputen.

© dpa

Von Lene Zade: Abschluss mit Hindernissen

Studierende der auslaufenden Studiengänge müssen sich beeilen, sonst droht ihnen die Exmatrikulation

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Sie werden despektierlich Langzeitstudierende genannt. Das klingt wie Gammler, Eckensteher oder Zeittotschläger. Gemeint sind alle, die es nicht schaffen, innerhalb der Regelstudienzeit von neun Semestern ihren Abschluss zu machen. Für gewöhnlich fallen sie nur in der Statistik auf – als abstrakter „Studentenberg“. Mit der Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master an der Potsdamer Universität wird dieser Berg aber wohl verschwinden, denn 2011 droht Lehramtsstudierenden alter Ordnung und spätestens 2013 allen Magisterstudierenden die Exmatrikulation.

Es sei denn, sie schaffen es, bis dahin ihr Studium zu beenden. Als Hilfe für die Abschlusswilligen wurden zum Wintersemester 2009/10 an den Uni-Instituten mit den größten Studierendenzahlen Beratungsstellen eingerichtet. Von den rund 700 Betroffenen im Historischen Institut und etwa 950 in der Germanistik hat sie im ersten halben Jahr gut ein Zehntel in Anspruch genommen. „Jeder, der hier war, hat nachvollziehbare Gründe für die Verzögerung seiner Studienzeit“, resümiert Philip Bracker vom Institut für Germanistik.

Auch Marion Fachini vom Historischen Institut weist das Klischee des Bummelstudenten zurück. Vielmehr träfe das Gegenteil zu. Die häufigste Ursache für lange Studienzeiten sei Mehrfachbelastung. Die meisten der Ratsuchenden finanzieren sich ihr Studium selbst und müssen sich oft auch um Familienangehörige wie Kinder oder erkrankte Eltern kümmern. Unter solchen Bedingungen überhaupt zu studieren und nicht aufzugeben verdient Respekt, finden die Studienberater.

Oft, so Bracker, der Psycholinguistik in München studierte, braucht es nur einen Anstoß. Etwa die Ermunterung, bei einem Dozenten nachzufragen, ob die verspätete Abgabe einer Hausarbeit noch möglich sei. Die allermeisten Lehrenden seien verständnisvoll. Doch im sturkturellen Hierarchiegefälle zwischen Professoren und Studierenden, sei die Thematisierung persönlicher Probleme kaum möglich, weiß Marion Fachini, die vor zwei Jahren ihr Lehramtsstudium beendete und nun Studierende der Geschichtswissenschaft berät. Eine ihrer Aufgaben sei die Vermittlung zwischen Lehrkörper und Studierenden, die sie auch deshalb adäquat ausfüllen könne, weil sie selbst niemanden benoten und keinerlei Sanktionsrechte gegenüber den Studierenden haben. Ihre Kollegin Steffi Bahro macht auf der anderen Seite einen Bewusstseinswandel bei den Dozenten aus, die nun nicht mehr vorschnell anhand von Semesterzahlen über Studierende urteilen.

Gegen die Stigmatisierung als Langzeitstudierende wehrt sich Vera Olbach* entschieden. Sie liebt ihr Studium der Germanistik und Geschichte. Ein geisteswissenschaftliches Studium sei aber nichts, dass sich in einen Zeitrahmen zwängen ließe, gerade hier sollte es keine Massenabfertigung geben. Die heute 26-Jährige legt Wert darauf, seit dem Abitur finanziell auf eigenen Füßen zu stehen. So selbstständig sie ihr Leben regelt, so unabhängig organisierte sie sich seit sechs Jahren ihr Studium. Rückblickend würde sie wieder so lernen wollen, nur eines kritisiert die junge Frau, die in einer Werbefirma arbeitet: Wirklich wichtige Informationen erreichten die Studierenden eher zufällig. „Anschläge an Türen sind mittelalterliche Methoden.“ Um so dankbarer ist Olbach dem Beratungsbüro für den Hinweis, dass sie sich bis zum Mai 2010 für die Zwischenprüfung anmelden sollte.

Auch Ina Herrmann* schreckte dieser Rat auf. Die Begeisterung für ihre Studieninhalte hat sie veranlasst, sich auch außerhalb der Universität weiter zu bilden, wozu ein viersemestriger Aufenthalt in New York gehörte. Heute weiß sie, dass sie sich für ihren Forschungsaufenthalt hätte beurlauben lassen sollen. Auch hätte sie all die Krankschreibungen, die belegen würden, dass sie mehrere Monate nicht in der Lage war, zu studieren, aufheben sollen. Nun hofft sie auf ein Einsehen im Prüfungsamt. Denn in den Bachelor zu wechseln, käme für sie nicht infrage, ist sie doch in ihrem Hauptfach längst scheinfrei und schon mit der Magisterarbeit beschäftigt.

Das Beamtendeutsch der Prüfungsordnungen übersetzte Philip Bracker mit seinem Kollegen Kai Christian Ghattas für jeden einzelnen Studiengang der Germanistik zunächst in allgemeinverständliche Richtlinien. Um den vielfältigen individuellen Ursachen eines verzögerteten Studienabschlusses gerecht zu werden, bieten die Beratungsbüros zudem verschiedene Seminare zum wissenschaftlichen Arbeiten und zur Prüfungsvorbereitung an.

Der Kern ihrer Arbeit aber seien die einstündigen Einzelsprechstunden. Neben der Aufklärung über die Möglichkeiten von Nachteilsausgleich etwa für die Versorgung von Kindern oder über einen Bildungskredit für die Endphase des Studiums, erarbeitet Fachini und Bahro mit ihren Klienten konkrete Arbeitspläne, die auch die Familie und den Job berücksichtigen. Ziel sei es, festgefahrene Verhaltensmuster aufzubrechen. Mitunter öffnet sich dabei auch der Blick auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen, in denen Studentenjobs lukrativ für Unternehmen sind, der Studienabschluss jedoch für die Arbeitnehmer den Verlust des Jobs bedeutet.

* Namen geändert

Kontakt: sbahro@uni-potsdam; fachini@uni-potsdam (für Geschichtswissenschaften); bracker@uni-potsdam.de; ghattas@uni-potsdam.de (für Germanistik)

Lene Zade

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