Landeshauptstadt: Abschlusszeugnis aus der Oase Fünf ehemalige Schulverweigerer beendeten
das Lernprojekt LEO auf Hermannswerder
Stand:
Hermannswerder - Ein Dreivierteljahr hatte Mandy ihre Schule nicht mehr betreten. Morgens verließ sie zwar ganz normal die Wohnung, in der sie noch immer mit ihrer Mutter wohnt. Doch statt zum Unterricht in die Fontane-Schule zu gehen, zog sie mit ihrer Cousine durch die Stadt. Ihre Mutter hatte keine Ahnung, sagt Mandy heute. Sie ist eine von fünf jugendlichen Schulverweigerern, die gestern das Projekt LEO – Lernen in der Oase – erfolgreich beendet haben.
Im Jugendhaus Oase auf Hermannswerder feiern die ehemaligen Schwänzer zusammen mit Eltern, Lehrern und Pädagogen das Ende ihrer Schulpflicht.
Als einzige hält das junge hübsche Mädchen ein Abschlusszeugnis in den Händen. Am Abend wird sie bereits in ihrem ersten Vorstellungsgespräch sitzen – in einem Restaurant in Teltow. Mandy möchte später als „Fachkraft für Gastgewerbe“ arbeiten. Vor zwei Jahren hatte die heute 17-Jährige noch keine so genaue Vorstellung von ihrer Zukunft.
Damals in der siebten Klasse sei alles zusammen gekommen: Der Umzug von Berlin-Schönefeld nach Potsdam, der Tod der Oma und die anderen Mädchen, die sie in der „ganzen Schule schlecht gemacht“ hätten. Das habe ihr sehr weh getan. „Und mit den Lehrern habe ich mich auch nicht verstanden“, erinnert sie sich. Als einer Mandys Zeichenblatt zerreißt, weil sie im Geometrieunterricht zu dicke Linien gezogen hatte, habe sie nur noch gedacht: „Lasst mich alle in Ruhe!“ Und dann sei sie einfach nie wieder in die Schule gegangen. Bis ihre Mutter es irgendwann merkte und sie zur Rede stellte: „So kanns nicht weitergehen“, habe sie gesagt: „Was willst du denn mal machen?“ Eine Woche Bedenkzeit habe ihr die Mutter gegeben, danach ist Mandy zu ihr gegangen: „Mutti, wir loofen rüber nach Waldstadt zum Jugendamt!“ Dort habe sie dann der Beraterin selbst vorgeschlagen, an LEO teilzunehmen. Ein Mädchen aus der Nachbarschaft hatte ihr davon erzählt.
Dass die Schulverweigerer aus eigenem Antrieb nach Hermannswerder kämen, sei wichtig, so Johannes Egger, der das Lernprojekt der Hoffbauer-Stiftung betreut. Ganz ohne eigene Motivation funktioniere LEO nicht, glaubt er. Zumal die Wartelisten für die Oase lang seien, aber nur zwölf Plätze für Neunt- und Zehntklässler zur Verfügung stehen. Alle Interessenten werden zu einem Probetag eingeladen, danach werde gemeinsam mit den Schulverweigerern entschieden, wer bleiben darf.
Mandy hatte gleich beim Probetag gemerkt, dass die Chemie zwischen ihr und den beiden Lehrern und Pädagogen der Oase stimmt. „Dann ging es einfach, es lief“, sagt sie. Und ist nun sogar traurig, dass die Schulzeit „so schnell vorbei ist“. Denn in der Oase seien die Lehrer „viel lockerer“ gewesen, „wie Freunde“. Jede Woche haben die Schüler einen Wochenplan mit individuellen Aufgaben erhalten. Ob sie sie lösen, durften die Schüler selbst entscheiden. Am Anfang ihrer Oase-Zeit hat Mandy die Aufgaben manchmal nicht abgegeben. Doch plötzlich schien sie begriffen zu haben, dass „sie besser wird, wenn sie erst einmal anfängt etwas zu machen“, glaubt Gemeindepädagoge Bodo Ströber. Mandys Noten beweisen das: Fünfmal „Gut“ steht in ihrem Zeugnis.
Aber auch die Oase-Schüler, die die Berufsschulreife nicht erlangt haben, hätten das Ziel des Projekts erreicht, betont Ströber – sie hätten etwas gelernt. Auch dank des engagierten Pädagogen, der es sich seit acht Jahren zur Aufgabe macht, das Lernen in der Oase spannend zu gestalten. So vermittele er physikalische Formeln schon mal, in dem er die Kids einen Teich bauen lässt.
Mandy ist sich sicher, dass sie in der Oase mehr gelernt hat als Physik, Deutsch und „pünktlich aufzustehen“. Sie habe auch gelernt, ihre Probleme anders zu regeln. Statt nie wieder zur Schule zu gehen, würde sie heute wahrscheinlich erst mit den Lehrern und dann mit dem Direktor reden, sagt sie.
Juliane Wedemeyer
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: