Landeshauptstadt: Acht Cola, acht Bier
Philipp Zetzsche wurde beim Diebstahl erwischt. Jetzt ist er Kassenwart im Fanlokal des SV Babelsberg 03
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Karl Liebknecht ist cool. Bei den jungen Fans von SV Babelsberg 03 gibt es „eine Renaissance in Sachen Karl Liebknecht“, sagt Gregor Voehse. Der SVB spielt im Karl-Liebknecht-Stadion, im „Karli“, klar also, dass die Jugendlichen fragen, „wer war das eigentlich?“. Auch zu anderen Themen hat Voehse im Fanprojektlokal in der Karl-Gruhl-Straße 62 schon Seminare mit den Jugendlichen veranstaltet, zu Anarchie, Staat, Gewalt, Macht. Das kam an, die Seminare mussten auf Wunsch der Fußballfans früher beginnen – damit mehr Zeit zu diskutieren bleibt.
Auch zum Verhältnis zur Polizei haben die Jugendlichen eine Meinung. Philipp Zetzsche macht sich lang auf der Lokalcouch und sagt: „Polizisten haben immer die Arschkarte gezogen.“ Der 18-Jährige fühlt also immerhin mit ihnen. Aber er kennt freilich auch die Haltung vieler linker Fans zur Polizei. „All Cops are Bastards“ rufen die. In Berlin gilt der Spruch als Straftat. Deshalb wird er gern abgekürzt: acab – oder man sagt einfach „acht Cola, acht Bier“. „Insbesondere die Bundespolizisten finden das nicht lustig“, sagt Philipp. Mit dem szenekundigen Polizeibeamten in Babelsberg gebe es aber einen guten Kontakt. „Der hat einen guten Ruf in der Szene“, sagt Voehse und Philipp nickt. Seine Freunde nennen ihn „Pippo“, weil Filippo Inzaghi von AC Mailand einen ähnlichen Vornamen hat und auch Pippo gerufen wird. „Wusste ich gar nicht, dass das von dem Inzaghi kommt“, sagt Voehse. Philipp bestätigt, „doch doch, das ist so“.
Die beiden verbindet ein besonderes Vertrauensverhältnis. Im Frühjahr wurde Philipp von einem Detektiv bei einem Kaufhausdiebstahl erwischt. Er wollte Zigaretten und Lebensmittel mitgehen lassen. „Ich hatte mein Geld nicht dabei.“ Der Richter entschied auf zehn Stunden Sozialarbeit in der Kaufhalle. Voehse bestrafte anders, er machte Philipp zum Kassenwart des Fanlokals – Gäste bedienen, abkassieren, abrechnen. „Paradoxe Sanktionen“ nennt das der Reformpädagoge Alexander Sutherland Neill, der mit seiner „Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung“ eine Ikone der 68er Bewegung war und auf den sich der Sozialarbeiter beruft. Voehses Motto. „Ich lasse ran.“
Verantwortung mehrt die Achtung. Jeder, der das kleine Fanlokal betritt, begrüßt den schlanken jungen Mann mit einem kräftigen Handschlag. Er ist hier wer und er macht keineswegs alles selbst, er organisiert sich Leute, die ihm helfen. An diesem Abend sitzt seine Ex-Freundin am Tresen und kassiert für Cola und auch Bier. Was Alkohol angeht, gibt es Regeln: Nicht unter 16 Jahren, nicht vor 19 Uhr. Und „es kommt keiner betrunken rein und es geht auch keiner betrunken raus“, sagt Voehse.
Die Schule hatte Philipp geschmissen, als sein Vater starb. Viele Leute mahnten, sein Vater hätte gewollt, dass er gut ist in der Schule, „doch da hört man dann nicht drauf“. Nun will Philipp bei einem freien Bildungsträger seinen Schulabschluss nachholen, um danach einen Beruf zu erlernen. Tischler schwebt ihm da so vor, doch nun haben die Ärzte bei ihm einen Bandscheibenvorfall diagnostiziert, da wird vielleicht nichts draus. Fanbetreuer oder Sozialarbeiter wäre auch etwas, Philipp schaut zu Gregor Voehse und der sagt, dass Philipp nicht der erste aus dem Fanclub wäre, der diesen Weg geht. „Sie sagen sich vielleicht, der Gregor hat so ein cooles Leben“
Die Leute im Club sind eher links. Links, das ist für Philipp „das Gegenteil von rechts“, dass man so leben kann, wie man will. Und dass man für Ausländer ist und gegen Nazis kämpft. Rechte Bands werden im Fanladen nicht gehört. Bei den „Bösen Onkelz“ scheiden sich die Geister. Der Kompromiss: Die Onkel-Fans dürfen die Onkelz hören, wenn die Onkel-Gegner nicht da sind. Philipp findet, „so schlimm sind die nicht“. Die hätten sich sogar schon “mal gegen Nazis ausgesprochen. Momentan dröhnt eine Potsdamer Band vom Band: „Veto“ heißt sie, deren Mitglieder „sind auch bei uns in der Kurve im Stadion“, erklärt Philipp. Dann ist „Chrischan“ dran, ein raustimmiger Sänger, der im Aufsichtsrat vom SV Babelsberg 03 sitzt. Der Liedtext ist links-lokalpatriotisch: „Heja, hejo, ich fühl mich wohl in 14–4-8-zwo“. Das ist die Babelsberger Postleitzahl.
Im Fanclub ist Philipp erstmals zum Zeitunglesen gekommen. „Hej, kommt “mal her, was haltet ihr von dieser Korea-Scheiße?“ motiviert Voehse die Jugendlichen und zeigt dabei auf einen Artikel über das Atombombenprojekt Nordkoreas. Voehse hat selbst immer ein Buch oder eine Zeitung in der Hand: „Du bist hier Modell“, sagt er. Er weiß, dass er vorlebt. Vor Philipp liegt ein Zeitungsartikel über „Arab Rap“ – über Rap-Musik in der arabischen Welt. Das interessiert ihn. Bücher aber liest Philipp derzeit nicht. Sollte er aber damit anfangen, dann werden es keine Romane sein. Lieber etwas über Geschichte. Oder über Fußball.
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