Aus dem GERICHTSSAAL: Ähnlich wie Brüder
Angeklagter belastet Freund, der schweigt allerdings – Verfahren musste eingestellt werden
Stand:
Moritz M.* (24) und Clemens C.* (24) könnten glatt Brüder sein. Sie haben den gleichen Haaransatz, verblüffend ähnliche Nasen und Augenbrauen. Als der Busfahrer Enrico P. (30) am 12. Oktober vorigen Jahres mit seinem Gefährt der Linie 690 am Sterncenter zweimal von einem schwarzen Golf ausgebremst wurde, dabei mehrere Fahrgäste durcheinanderfielen, eine Frau sich am Knie verletzte, identifizierte der Fahrer Moritz M. als Verkehrsrüpel.
Der arbeitslose Energie-Elektroniker bestritt am ersten Verhandlungstag, am Steuer gesessen zu haben. Er belastete seinen Freund Clemens C. Amtsrichterin Reinhild Ahle unterbrach daraufhin die Verhandlung und lud den Potsdamer als Zeugen (PNN berichteten.) Auch Enrico P. musste am gestrigen zweiten Prozesstag für eine Gegenüberstellung noch einmal kommen.
Um es ihm nicht zu leicht zu machen, sollte auch Clemens C. auf der Anklagebank Platz nehmen, direkt neben dem Verteidiger seines Freundes. „Schauen Sie sich die beiden jungen Männer einmal genau an!“, forderte die Vorsitzende. „Bleiben Sie immer noch dabei, dass der Angeklagte gefahren ist.“ Der Busfahrer zauderte keine Sekunde, bezichtigte Moritz M. erneut der Nötigung im Straßenverkehr. „Der Golf hat getönte Scheiben. Wie können Sie so sicher sein, dass er es war?“, fragte der Verteidiger.
Enrico P. parierte, er habe sich das Gesicht des Fahrers während des Vorfalls genau eingeprägt. „Als er beim zweiten Mal bis zum Stillstand abbremste, schaute er kurz nach hinten und grinste“, so der Busfahrer. Der Rechtsanwalt gab sich noch nicht geschlagen. „Würden Sie 1000 Euro auf seine Täterschaft wetten?“, hakte er nach. „Ja“, antwortete der Zeuge prompt. „Es sei denn, er hat einen Zwillingsbruder.“
Clemens C. verweigerte im Zeugenstand jegliche Aussage, um sich nicht selbst zu belasten. Das ist sein gutes Recht, brachte das Gericht allerdings keinen Schritt weiter. „Bleiben Sie bei Ihrer Aussage“, fragte Richterin Ahle den Angeklagten. Moritz M. nickte. Er ließ sich auch von der Androhung eines weiteren Strafverfahrens wegen falscher Verdächtigung nicht beeindrucken.
Falls das Duo geplant hatte, das Gericht an der Nase herumzuführen, so gelang der Coup. „Der Anklagevorwurf kann nicht bestätigt werden. Es gibt erhebliche Zweifel an der Täterschaft von Moritz M.“, konstatierte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Beweisaufnahme. „Der Angeklagte beschuldigt seinen Freund. Der sagt nichts. Beide sehen sich sehr ähnlich.“ Verurteilt werden könne nur, dessen Schuld wirklich belegt ist. „Das Gericht kann dem Angeklagten nicht eindeutig nachweisen, dass er gefahren ist“, führte Richterin Ahle aus. Freispruch! (*Namen geändert.) Hoga
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