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WEIMERS Woche: Alfred statt Otto

Wolfram Weimer erinnert sich an eine Attacke auf die Pressefreiheit

Stand:

In dieser Woche war ich im Möbelhaus. Eines von der neuen, schicken Sorte direkt an der Glienicker Brücke. Ich ging hinein, weil die Villa bis zum vergangenen Jahr noch meine Cicero-Redaktion war. Der Besuch hätte also eine sentimentale Zeitreise werden können mit den klassischen „Ach weißt Du noch“-Effekten. Tatsächlich aber wurde es eher wie ein Ehemaligen-Treffen der Marke „Nein, wie siehst Du denn heute aus!“

Wo einst mein Schreibtisch stand, haben sie ein Doppelbett mit Fellen aufgebaut. Im Blattmachergroßraum, wo aufgeregte Redakteure wuselten, knistern jetzt Kamin-Attrappen mit Wuschelteppich davor und im ehemaligen Sekretariat stehen nun Kuschel-Fernsehsessel.

Ich musste mich vor Verblüffung setzen und daran denken, dass vor genau zwei Jahren hier eine Truppe BKA-Beamter und schneidige Potsdamer Staatsanwälte (noch heute warte ich auf eine Entschuldigung) auf der Suche nach Informanten die Redaktion erstürmten, damit die Pressefreiheit wie die Verfassung brachen und einen hübschen Presseskandal auslösten, an dessen Ende das Bundesverfassungsgericht die so Übereifrigen in ihre Schranken wies.

Wo also damals die BKA-Techniker unsere Computer aufschraubten, werden heute Federkern-Matratzen diskutiert. Es hat sich die Designerdecke des Schweigens darüber gelegt.

Heute lädt der Ohrensessel „Alfred“ zum Probefläzen, wo damals Otto Schily seine Attacke auf die Pressefreiheit wagte. Alfred statt Otto. Das ist komisch und typisch zugleich. Denn Potsdam ist die Stadt der skurrilen Transformationen. Das Möbelhaus ist gewissermaßen überall. Aus einer Panzerhalle werden Ateliers, ein Koksspeicher mutiert zum coolen Lofthaus, eine Reithalle wird ein Theater, eine Kaserne Software-Schmiede, eine Mühle zum Restaurant. Fast jedes Haus in Potsdam hat Wendegeschichten der vielfachen Art.

Mein eigenes Haus war binnen 100 Jahren Familiensitz, Bibelverlag, Kirchenbüro, Offiziersresidenz, Nonnenheim, Spionagezentrum, Sowjet-Wachgebäude, schließlich Kohlespeicher und ist nun wieder ein Familienhaus.

Potsdam ist zu Stein gewordenes Wechselspiel. Alfred kommt, Otto geht, Potsdam bleibt.

Wolfram Weimer schreibt an dieser Stelle regelmäßig für die PNN. Unser Autor ist Chefredakteur des Magazins „Cicero“ und lebt mit seiner Familie in Potsdam

Wolfram Weimer

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