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Homepage: „Alle reden darüber, aber niemand macht etwas“

Demografischer Wandel: Prof. Dieter Wagner über Seniorenämter, die Folgen des Bevölkerungsrückgangs für die Landkreise und neue Beschäftigungsmodelle

Die Auswirkungen der Veränderungen des demografischen Wandels auf die Kommunen und Landkreise stand unlängst im Mittelpunkt einer Tagung des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Uni Potsdam. Die PNN sprachen mit Prof. Dieter Wagner von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Potsdam.

Herr Prof. Wagner, sterben die Deutschen tatsächlich aus?

Die demografischen Prognosen für Deutschland sind zum Teil sehr ernüchternd. Die Bevölkerung in der Bundesrepublik soll bis 2050 um etwa 20 Prozent sinken, bei höherem Altersdurchschnitt und höherer Lebenserwartung. Zu beachten ist auch, dass bis 2070 viele Facetten der Entwicklung gar nicht mehr beeinflusst werden können. Das Gefährliche an der Entwicklung ist, dass wir annehmen, alles würde so bleiben wie es ist.

Was kommt nun auf die Kommunen zu?

Die Tagung hat deutlich gemacht, dass durch die Entvölkerung ganzer Landstriche auch die Ent- und die Versorgung betroffen sind. So ist etwa die Kanalisation und Wasserzuleitung davon betroffen, wenn weniger Menschen die Rohrsysteme benutzen: die Kosten werden steigen. Die Wirtschaftlichkeit der Versorgungssysteme wird davon betroffen sein. Es wird auch um den altersgerechten Umbau von Wohnungen gehen.

Ein spezifisch ostdeutsches Problem?

Von der Entvölkerung her wird nicht nur Ostdeutschland betroffen sein, auch Länder wie Baden-Württemberg, in denen es heute noch gut aussieht, werden in Zukunft davon ereilt. Daneben gibt es das Alterungsproblem, vor allem in den größeren Kommunen. In der Stadt Nürnberg gibt es mittlerweile sogar schon ein Seniorenamt, sozusagen das Gegenstück zum Jugendamt. Hier werden die spezifischen Probleme der älteren Generation bedacht.

Und die Abwanderung?

Ein Problem vor allem bei den jungen Menschen, das sich mit der negativen Geburtenentwicklung überlagert. Der Wegzug junger Menschen aus den Randregionen verstärkt den Mangel an Jugend durch den Geburtenknick. Der Nachwuchs von Firmen, Kommunen und anderen Einrichtungen schrumpft somit. Die Abwanderung betrifft gerade hoch qualifizierte junge Frauen, wodurch die Geburtenraten weiter sinken. Dafür haben wir an der Uni Potsdam das Mentoring-Programm für Studentinnen ins Leben gerufen. Dabei geht es eben nicht nur um Gleichberechtigung, sondern auch darum, die Abwanderung zu verlangsamen.

Das betrifft aber weniger Potsdam und Berlin.

Die Entwicklung findet stärker in den Randregionen statt. An Orten mit Hochschulen und einem wachsenden Dienstleistungssektor wie dem Großraum Berlin und Potsdam ist die Entwicklung abgefedert.

Bevölkerungsprognosen sind immer auch mit Vorsicht zu genießen.

Die langfristigen Prognosen der Bevölkerungsstatistiker können Ereignisse wie Weltkriege, Epidemien, Umbrüche wie die Wende oder auch Völkerwanderungen, etwa durch Klimawechsel, tatsächlich nicht voraussagen. Allerdings machen die Demographen auch deutlich, dass für eine Änderung des Bevölkerungsdefizits enorm hohe Zahlen an Einwanderern ins Land geholt werden müssten. Was nicht realistisch ist. Die derzeitige Diskussion um die Integration der Immigranten zeigt ja, dass bei uns solche Prozesse eher von langfristiger Natur sind.

Mit welchen Fragen muss sich die Politik nun befassen?

Neben den Fragen der Versorgungssysteme müssen auch Organisationsformen überdacht werden. In den entvölkerten Regionen wird es eine Diskussion darum geben, ob die Landkreise erhalten bleiben. Ob sie nicht regionale Planungseinheiten bilden sollten, wie es in anderen Bundesländern schon gemacht wird. Ein weiterer Aspekt ist das „Electronic Gouvernement“, man kann durchaus in verlassenen Landstrichen leben und trotzdem über Computer vernetzt kommunizieren. Allerdings sind dabei Probleme der Vereinsamung zu bedenken. Auch werden Ideen wie mobile Rathäuser sicherlich für die Bewohner gewöhnungsbedürftig sein.

Darüber macht man sich heute in den Kommunen schon Gedanken?

Durchaus. Zumindest wird darüber gesprochen, dass etwas unternommen werden müsste. Allerdings gab es auf der Tagung auch vehemente Gegner einer Schwächung der Landkreise. Die Diskussion geht jetzt erst richtig los.

Auch der Arbeitsmarkt wird von der Entwicklung betroffen sein.

Zurzeit reden alle darüber, aber niemand macht etwas. Heute schon müsste mit dem „lebenslangem Lernen“ begonnen werden, da die älteren Arbeitnehmer in Zukunft immer wichtiger werden. Seniorenprogramme und Training für Ältere werden nötig. Was natürlich mit unserer heutigen Realität zusammenprallt. Absolventen der Hochschulen müssen heute oft erst einmal mit unbezahlten Praktika Vorlieb nehmen. Jetzt kommen die Forscher und sagen, dass die Unternehmen verstärkt die Älteren einstellen und trainieren müssen. Das passt kaum zusammen. Und bis zu den Firmen haben sich die Veränderungen noch nicht herumgesprochen: die setzte ihrer Mitarbeiter immer noch mit Mitte 50 raus. Wir wissen aber, dass das Verhältnis in einigen Jahrzehnten kippt. Bislang fehlt es an Konzepten, wie man die Erfahrung der älteren Mitarbeiter sinnvoll einbinden kann. Nehmen wir etwa das Problem der Lehrer: ab einem gewissen Alter sind die oft mit den quirligen Kleinkindern überfordert. Dann hat man für diese Lehrer keine Verwendung mehr. Sie könnten aber den jüngeren Lehrern helfen oder in der Verwaltung tätig werden.

Ein großer Anteil hoch qualifizierter Frauen bekommt heute keine Kinder.

Wahrscheinlich liegt das daran, dass sich das Kinderkriegen mit der Karriere nicht vereinbaren lässt. Es gibt in Deutschland zu wenig Modelle, um Beschäftigung und Familien zu vereinen. Die Paare arbeiten bei uns entweder beide 100 Prozent, oder nur einer 100 Prozent. Dass beide 60 Prozent arbeiten, ist selten. Für solch ein Modell könnte der öffentliche Dienst eine Vorreiterrolle übernehmen. Eine andere Idee ist Hilfe bei der Kinderbetreuung durch die Älteren. Um die so genannte „Work-Life-Balance“ wieder herzustellen, brauchen wir neue Ideen. Die öffentlichen und privaten Institutionen, wie auch die Unternehmen müssen eine solche Entwicklung tolerieren.

Ist das auch eine Frage der Gesetzgebung?

Natürlich. Auf gesetzliche Veränderungen etwa bei der Elternzeit müssen die Unternehmen reagieren. Ich gehe davon aus, dass hier bald ein anderer Wind wehen wird. Zu einer massiven Steigerung der Geburtenrate wird das allerdings nicht führen. Schwierig wird es auch sein, dass Menschen, die derzeit gewohnt sind, sehr viel zu arbeiten, anderen etwas von der Arbeit abgeben. Bei uns in der Gesellschaft sind Workaholics sehr beliebt. Dafür erntet man sogar Bewunderung. Es geht also um einen Mentalitätswechsel. Wenn wir beispielsweise an der Universität eine junge weibliche Nachwuchswissenschaftlerin einstellen, dann muss es ihr auch ermöglicht werden, dass sie während der Beschäftigung Kinder bekommen kann.

Die Zeit für ein Umdenken drängt?

Es ist Zeit, dass etwas unternommen wird. Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem die Menschen länger arbeiten müssen, weil es weniger Beschäftigte gibt. Dafür gibt es noch keine Modelle. Vielleicht könnten integrierte Lösungen gefunden werden, die auch das Problem von Arbeit und Familie betreffen. Etwa, dass Ältere ausgleichend zur Verfügung stehen, wenn die Jüngeren in Elternzeit gehen.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Prof. Dieter Wagner hat an der Uni Potsdam die Professur für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Organisation und Personalwesen inne. Daneben leitet er den Career Service.

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