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Würfelspiele zur Abwechslung. Der 13-jährige Konrad mit seiner Mutter Ulrike Barth-Musil. Noch sind die Nachmittage zu Hause für den geistig behinderten Jugendlichen die Ausnahme, weil er einen Hort besucht. Doch bald ist Konrad zu alt dafür.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Allein mit der Mama

Keine Betreuung für behinderte Jugendliche in Sicht: Nun kämpfen die Eltern für einen Jugendhort

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Noch ist Konrad gut versorgt. Dreimal in der Woche geht der 13-Jährige in den Hort der Nuthegeister am Schlaatz, kann spielen, basteln, toben. Der hoch aufgeschossene Junge ist Schüler der Oberlinschule und seit seiner Geburt stark geistig behindert. Wenn er spricht, sucht er lange nach Worten. Bislang kann er weder lesen noch schreiben, die Eltern geben die Hoffnung aber nicht auf, dass er es vielleicht eines Tages lernt. Aber soviel ist klar: Dass er nach der Schule in den Hort geht und mit anderen Kindern zusammen ist, findet er gut. Allerdings ist für ihn der Hort bald zu Ende. Vor Weihnachten wird er 14 Jahre alt – zu alt für einen Hort in Potsdam.

Generell ist Hortbetreuung nur für Kinder bis 12 Jahre vorgesehen. Eltern behinderter Kinder haben den rechtlichen Anspruch, auf Antrag ihre Kinder bis zum 14. Lebensjahr betreuen zu lassen. Außerdem gab es bislang die Möglichkeit, den Familienentlastenden Dienst (FeD) des Oberlinhauses zu nutzen. Dort wird Nachmittagsbetreuung für rund 50 Kinder und Jugendliche unter professioneller Betreuung angeboten. Doch das Oberlinhaus kündigte an, ab Februar 2015 den Dienst einzustellen. Für Familien behinderter Kinder steht damit das einzige Angebot in Potsdam vor dem Aus.

Auch für Konrads Mutter, Ulrike Barth-Musil, stand fest, dass Konrad ab nächstem Jahr dort weiter betreut wird. Die Kosten hätte die Familie größtenteils selbst getragen. Sie und ihr Mann sind berufstätig. Als selbstständige Illustratorin muss die 45-Jährige flexibel in ihren Arbeitszeiten sein, auf eine gesicherte Nachmittagsbetreuung ihres Sohnes ist sie angewiesen. „Nächstes Jahr“, so Barth-Musil, „habe ich ein großes Problem.“

Deswegen hat sie sich mit anderen Eltern zusammengeschlossen und eine Initiative für einen Jugendhort in Potsdam ins Leben gerufen. Bei anderen Familien seien die Probleme durch eine fehlende Hortbetreuung noch gravierender, sagt Barth Musil: „Manche fürchten, ihren Job zu verlieren, wenn sie ab halb drei nachmittags ihr Kind hüten müssen.“

Aber es geht für Barth-Musil nicht nur um die berufliche Situation der Eltern. „Die Aussicht ist doch traurig für Konrad, nur zu Hause zu sein“, sagt sie. „Man wünscht sich doch, dass die Kinder auch unter Gleichaltrigen sind.“ Allein könne sie Konrad auch nicht in die Stadt lassen. Er würde sich nicht zurechtfinden und verlöre die Orientierung.

49 Familien haben bisher den Aufruf von Barth-Musil für einen Jugendhort unterschrieben. Sie alle haben behinderte Kinder, die Förderschulen oder Inklusionsschulen in Potsdam, wie die Comenius-Schule, die Oberlinschule oder die Wilhelm-von-Türk-Schule besuchen. „Wir Familien wünschen uns Entlastung und einen Ort, wo unsere Kinder mit anderen Jugendlichen, ohne Eltern und trotzdem behütet, ihre Freizeit verbringen können, so selbstständig und integriert wie möglich“, so heißt es in dem Schreiben, das Barth-Musil auch an die Stadtverwaltung geschickt hat. Ideal fänden die Eltern auch, wenn ihre Kinder in einen bereits bestehenden Jugendklub integriert werden könnten.

Verschiedene soziale Träger, wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Verein Pusteblume hätten sich offen für einen Jugendhort gezeigt, so Barth-Musil. Doch wie meist hapert es an der Finanzierung: „Man müsste viel Geld in die Hand nehmen“, sagt Barth-Musil. Schließlich benötigen die Einrichtungen einen hohen Personalschlüssel. Obwohl die Eltern Pflegegeld für ihre Kinder bekommen, so reiche dies nicht aus, um die Kosten allein zu tragen.

In der Stadtpolitik ist das Thema inzwischen angekommen. Die Grünen haben eine Anfrage zur Freizeit-Betreuungssituation von behinderten Jugendlichen an den Gesundheitsausschuss gestellt. Im November soll es dazu eine Anhörung geben. „Das Thema brennt unter den Nägeln“, sagt Grünen-Abgeordnete Ingeborg Naundorf. „Es ist eine so extreme soziale Ausgrenzung.“ Im Dezember werde der Doppelhaushalt beschlossen, dort müsse die Hortproblematik vorkommen. „Sonst verlieren wir wieder zwei Jahre“, so Naundorf. Auch der Behindertenbeauftragte der Stadt, Christoph Richter, sieht den Bedarf nach einer solchen Einrichtung in der Stadt. Die derzeitige Situation sei nicht zufriedenstellend. Jetzt müssten Lösungen gefunden werden. „Ich hoffe, dass die Verwaltung da auch einen Beitrag leistet“, so Richter.

Grit Weirauch

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