
© Charles Yunck
Homepage: Alles unsichtbar
HPI-Student Sean Gustafson untersucht in seiner Doktorarbeit die Zukunft der mobilen Kommunikation
Stand:
Sonderbar gestikulierend steht der Mann im Park. Mit den Händen zeichnet er Kurven und Zacken in die Luft, um gleich darauf ins Leere zu sprechen. Der Gestikulierer ist aber nicht aus der Fassung geraten. Er telefoniert. Seinem Gesprächspartner übermittelt er mit den Händen Zeichnungen im leeren Raum. Es sind die Börsenkurse von Aktien, er spricht mit seinem Broker. Bei dem erscheinen die Freiluftzeichnungen auf der Oberfläche seines Handys. Eine Minikamera im Knopfloch filmt die Bewegungen.
Der Sprecher zeichnet auf einem sogenannten „Imaginary Interface“, auf einer unsichtbare Benutzeroberfläche. Sean Gustafson, Student des Hasso-Plattner-Instituts Potsdam, hat soeben seine Doktorarbeit darüber abgeschlossen, wie die Zukunft der mobilen Kommunikation aussehen könnte. Zusammen mit Patrick Baudisch und Daniel Bierwirth untersucht er die Möglichkeiten von unsichtbaren Nutzeroberflächen. Damit wäre mehr möglich als kniffelige Fummelei auf kleinen Bildschirmen. Das Imaginary Interface könnte sowohl an ein Handy wie auch an einen Beamer oder ein anderes Übertragungsgerät angeschlossen werden. Mit großen Gesten kann der Nutzer imaginierte Zeichnungen in die freie Luft stellen. „Viele Nutzer sehen ihre Umgebung gar nicht mehr, weil sie die ganze Zeit auf das Handy blicken “, stellt Sean Gustafson fest. Hier könne ein Imaginary Interface möglicherweise Abhilfe schaffen. Denn das würde eher intuitiv benutzt und erfordere keine Konzentration auf einen Bildschirm. „Die meisten Nutzer wissen die Bedienungselemente ihrer Handys auswendig und können sie auf einem Imaginary Interface problemlos nachbilden“, hat Gustafson festgestellt. Die Trefferquote bei entsprechenden Versuchen mit zufälligen Testpersonen liege bei 60 Prozent.
Obwohl das „Imaginary Interface“, so wie es in den Studien des HPI gegenwärtig auftaucht, eher wie das Touchscreen eines I-Pad funktioniert, sind auch andere technische Möglichkeiten vorstellbar. Bei einer Versuchsanordnung experimentieren die Studenten mit Knöpfen und Tasten. Auch hier werden die Bewegungen von einer Kamera aufgezeichnet und dann an ein Gerät, das sich in der Jackentasche des Nutzers befindet, weitergeleitet. Er vermute, dass mit dem „Imaginary Interface“ letztlich viel mehr Anwendungen möglich seien, als man bisher gedacht habe, bemerkt Sean Gustafson.
Das Problem der „Imaginary Interfaces“ ist dennoch die Visualisierung des in die Luft gezeichneten Bildes. Weiß der Zeichner überhaupt, was er tut? Hierzu haben sich die Studenten am HPI eine komplizierte Versuchsanordnung ausgedacht. Dabei bewegt sich die Testperson in einem vorgegebenen Raum, in dem ihre Bewegungen aufgezeichnet werden. Sie bedient das „Imaginary Interface“, während die Bewegungen ihrer Hände und die Punkte, die sie in der Luft setzt, auf einem Bildschirm erscheinen. Nutzt die Testperson den ausgestellten Daumen und Zeigefinger einer Hand als Referenzpunkte, so werden die Zeichnungen in der Luft erstaunlich exakt. Allem Anschein nach entwickeln die Testpersonen sehr schnell ein Gefühl dafür, was sie an welchem Punkt der Bewegung in der Luft zeichnen. Hierbei müsse die Zeichnung nicht einmal mit einer Geste ausgeführt werden, erläutern die Wissenschaftler, auch Unterbrechungen seien möglich. Als Aufzeichnungsgerät für die Gesten fungiert im Versuch eine Infrarotkamera, die von entsprechenden Infrarotstrahlern umgeben ist.
Letztlich interessiert Sean Gustafson aber doch, ob und wie das Imaginary Interface möglicherweise den Touchscreen eines Handys ersetzen kann. Deshalb ahmt ein Interface, das er entwickelt hat, eine entsprechende Benutzeroberfläche nach. „Einen Film kann man auf einem Imaginary Interface natürlich nicht abspielen“, weiß auch Gustafson. Dennoch möchte er wissen, wie das Navigieren der Computerschnittstelle in der Luft abläuft.
„Wir wissen bisher erst sehr wenig darüber, wie die menschliche Wahrnehmung im Zusammenhang mit einem „Imaginary Interface“ funktioniert“, konstatiert Gustafson. Die Ergebnisse der Forschung dazu stellt er in seiner Doktorarbeit vor, die er am Mittwoch am HPI erfolgreich verteidigte. Letztlich gehe es darum, die genutzten Geräte nahtlos in den Alltag einzufügen und sie deshalb so klein wie möglich zu machen. Damit könne dann eine unbegrenzte Mobilität erreicht werden, vermutet Patrick Baudisch, der Leiter des Fachgebietes „Human Computer Interaction“ am HPI.
Etwas sonderbar wäre es aber dennoch, wenn künftig Passanten nicht mehr mit dem Handy am Ohr, sondern mit ausladenden Gesten und Tastbewegungen in Bussen, Bahnen und auf öffentlichen Plätzen anzutreffen sind.
Richard Rabensaat
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: