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Landeshauptstadt: Als das Glockenspiel verstummte

Bisher unveröffentlicht: Augenzeugenbericht von Stadtoberinspektor Walther Jachmann zur Nacht des 14. April 1945

Stand:

Noch immer war Potsdam nahezu unversehrt geblieben. Seine historischen Bauwerke hatten keinen Schaden erlitten Am Abend des 12. April traf eine Luftmine einen Flügel des Rechnungshofes, etwa 200 Meter von der Garnisonkirche entfernt. Dieser Bombenwurf erschien uns wie ein böses Omen.

Zwei Tage später, am Abend des 14. April, heulten wiederum zur gewohnten Zeit die Sirenen. Beim Aufsuchen des Luftschutzkellers hörten wir zu unserem Schrecken, dass über Potsdam „Weihnachtsbäume“ standen. So wurden die farbigen Fallschirmlichtzeichen genannt, mit denen die Führerflugzeuge den nachfolgenden Bombern die Ziele markierten. Kein Zweifel, jetzt wurde es ernst.

Schon krachten in einiger Entfernung die ersten Bomben. Wenige Sekunden später befanden wir uns in einem rasenden Inferno. Mit furchtbarer Gewalt zerbarsten unaufhörlich schwerste Sprengkörper in der Umgebung unseres Hauses. Steine und Ziegel prasselten von den Hausdächern, Scherben klirrten. Der Boden schwankte wie ein Schiff auf sturmbewegter See. Die Luftstöße der Explosionen waren unerträglich. Wir warteten auf die Bombe, die unser Haus zermalmen und uns unter den Trümmermassen begraben würde. Die Menschen im Keller lagen platt auf dem Boden, ihr Ende erwartend.

Endlich, nach etwa einer halben Stunde, schien die größte Gefahr überstanden zu sein. Die Explosionen verhallten in der Ferne. Ich wagte mich auf die Straße. Unser Haus stand noch. Es war nicht getroffen worden. Aber wie sah es aus! Keine Tür, kein Fenster hatte dem gewaltigen Luftdruck stand gehalten. Kein Ziegel lag mehr auf dem Dach.

Jenseits des Stadtkanals flammten Brände auf. Ich lief an den Kanal und sah, dass das Dach des Langen Stalls, des historischen Exerzierschuppens der Potsdamer Garde, in hellen Flammen stand. Die in unmittelbarer Nähe stehende Garnisonkirche war anscheinend noch unversehrt ... In Richtung Lustgarten brannten mehrere Häuser. Auch aus dem weiter entfernten Stadtschloss sah ich Flammen schlagen. Es brannte der Dachstuhl der Kaserne des Ersten Garderegiments an der Kanalseite. Feuersbrünste ringsum, auch in der Brandenburger Vorstadt. Das Versorgungsnetz der städtischen Werke war zerstört. Es gab weder Wasser, Strom noch Gas. An die Löschung der Großbrände war nicht zu denken. Bald durchbrauste ein Feuersturm die Straßen, Asche, Funken, Qualm und verbrannte Papierfetzen mit sich tragend.

Kurze Zeit später bemerkte ich, dass auch das Dach der Garnisonskirche Feuer gefangen hatte Bald stand der gesamte Dachstuhl in hellen Flammen. Der Turm war jedoch von dem Brande noch nicht erfasst. Aber es währte nicht lange, da sah ich, dass aus einem der lang gestreckten Rundbogenfenster, etwa in halber Höhe des Glockenturms, eine schmale weißliche Rauchfahne zum Himmel aufstieg. Das bedeutete, dass auch das hölzerne Innere des Turmes Feuer gefangen hatte. Es gab nichts mehr zu retten.

Mitternacht war bereits vorüber. Der Riesenbrand der Garnisonkirche erhellte die Umgebung Noch stand der alte, ehrwürdige Turm, aber er war bereits von Flammen eingehüllt, die aus allen acht Rundbogenfenstern herausschlagend die Steinwände emporzüngelten. Die Hitze löste anscheinend einige Klöppel des Glockenspiels. Ein paar letzte klagende Glockentöne erschollen - Abschied eines Meisterwerks, dessen fromme Weisen mehr als zwei Jahrhunderte lang über Potsdam erklungen waren.

Die Flammen haben jetzt die Turmhaube erreicht. Noch ragen auf der Turmspitze weithin sichtbar die Symbole preußischen Königtums in den Himmel, die Krone, der emporsteigende Adler, das königliche Signum und das Sonnenbild. Feuer züngelt jetzt auch aus dem rotglühenden Glockenstuhl. Da löst sich eine der Säulen, die die Turmhaube tragen, von ihrem Fundament. Sie fällt in die Tiefe. Eine weitere Säule folgt. Jetzt neigt sich der gesamte obere Turm mit dem Glockenspiel langsam nach rechts. Er bricht zusammen, stürzt. Eine Lawine von Steinblöcken und Metall prasselt mit elementarer Wucht auf das Steinpflaster der Breiten Straße. Aus dem stehen gebliebenen Stumpf des Turms schießt im gleichen Moment eine ungeheure feurige Lohe in den Himmel, einen Funkenregen ausstoßend, der sich über die ganze westliche Umgebung ausbreitet Fürwahr, ein Anblick von unerhörter Dramatik, ein schauriges riesenhaftes Fanal des Untergangs.

Durch den Einsturz des oberen Turmteils nahm das Feuer im Inneren an Heftigkeit noch zu. Wie eine riesige Fackel überragte es, hoch in den Himmel lodernd, alle anderen Brände in der Umgebung. Unzählige rotglühende Funken schossen senkrecht aus dem Turmstumpf heraus, tanzten und kreisten hoch oben in der Luft, um dann langsam, wie fallende Sterne, auf unsere Wohngegend herabzuschweben.

Mindestens zwei Stunden hielt dieser Funkenregen aus dem Turm an. Endlich ließ die Gewalt des Feuers nach. Die Flammen wurden allmählich kleiner. Aber erst in der Morgendämmerung des neuen Tages, es war Sonntag, der 15. April, erlosch der Brand gänzlich. Die aufgehende Sonne ließ das gesamte Ausmaß des Unglücks, das über Potsdam hereingebrochen war, erkennen. Überall Trümmer, Ruinen, verzweifelte und von Entsetzen gepackte Menschen

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