
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Als Lehrling unter Forschern
Zahlreiche Wissenschaftsbetriebe in Potsdam bieten auch Ausbildungsplätze an. Zum Beispiel das GFZ
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125 Lehrstellen sind derzeit in Potsdam noch unbesetzt. Gesucht werden Schüler, die gerne eine Ausbildung zum Koch, Industriemachaniker oder Einzelhandelskaufmann machen wollen. Doch auch eine andere große Branche in Potsdam bietet eine nicht unerhebliche Zahl an Ausbildungsplätzen, auch wenn diese eher mit Studenten oder Doktoranden statt mit Azubis in Verbindung gebracht wird: die Wissenschaftsbranche.
Tatsächlich besteht in vielen Instituten etwa die Hälfte der Belegschaft aus Nicht-Akademikern. Sie führen die Tests in den biologischen, pysikalischen oder chemischen Laboren durch, kennen sich mit den teils hochkomplexen Geräten aus, betreuen die Bibliotheken oder sitzen in der Verwaltung. Um all diese Stellen besetzen zu können, bilden viele Forschungseinrichtungen auch selbst aus.
Etwa ein Sechstel der Ausbildungsplätze werden in Potsdam mittlerweile von Forschungseinrichtungen angeboten, wie der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam, Victor Stimming, den PNN sagte. Pro Jahr fangen etwa 50 der 300 Schüler, die eine Ausbildung machen wollen, bei einer wissenschaftlichen Einrichtung an. Gemessen an allen Schulabgängern der Stadt sind das immerhin noch fünf Prozent.
Eine dieser Einrichtungen ist das Geoforschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft (GFZ) auf dem Telegrafenberg. Rund zehn Jugendliche fangen dort jährlich eine Ausbildung an, insgesamt gibt es dort derzeit 34 Azubis, wie Stefan Schwartze vom Vorstand des Forschungszentrums sagte. Am Mittwoch wurde die Einrichtung von der IHK offiziell als „Anerkannter Ausbildungsbetrieb“ ausgezeichnet. Acht Berufe können die jungen Menschen am GFZ erlernen, unter anderem Fachinformatiker, Physiklaborant oder Geomatiker. „Wir brauchen diese technischen Experten, die alles in Gang halten“, sagte Schwarzte. Forscher aus aller Welt beneideten ihre deutschen Kollegen um das gut ausgebildete Personal, das ihnen zur Seite stehe. „Zum Beispiel in den USA müssen die Wissenschaftler selber an den Geräten herumschrauben.“
Seit der Neugründung des Zentrums im Jahr 1992 wurden laut Schwartze 173 junge Menschen am GFZ ausgebildet, teils auch über den eigenen Bedarf hinaus. Damals habe es in der Region einen großen Mangel an Ausbildungsstellen gegeben. Heute sei es umgekehrt: Geeignete Lehrlinge zu finden, sei schwer.
Aus Sicht von IHK-Präsident Stimming liegt das auch an dem weitverbreiteten Credo, dass immer mehr junge Menschen an die Universitäten und Fachhochschulen gebracht werden müssten. Tatsächlich sei aber ein gesundes Verhältnis nötig von Akademikern und solchen, die mit den Alltagsdingen zurechtkommen, sagte er. Gut 400 Berufen stünden in Deutschland jetzt schon 12 000 Bachelor-Studiengänge gegenüber. „Eine gesunde Volkswirtschaft braucht etwa 20 Prozent Industrie, damit sich der Dienstleistungssektor entwickeln kann.“ Ausbildende Einrichtungen wie das Geoforschungszentrum seien daher von großer Bedeutung für die Stadt, sagte Stimming bei der Urkunden-Verleihung.
Und er nutzte die Gelegenheit, junge Menschen nach der Schule für eine Ausbildung zu gewinnen: Diese sei oft die bessere Wahl, warb er. In den drei oder vier Jahren werde teils mehr Wissen vermittelt als in einem „durchgehechelten Bachelorstudium“. Auch der Arbeitsmarkt sei für fertige Azubis mittlerweile sehr gut in der Region. Und die Bezahlung sei schon jetzt teilweise so hoch wie nach manchem Studium. Doch nicht nur die stetig steigenden Studentenzahlen in Potsdam – zurzeit sind es etwa 25 000 – machen der Wirtschaft zu schaffen, sondern auch der demografische Wandel, sagte der IHK-Präsident. Während es 2005 noch 2160 Schulabgänger und damit potenzielle Azubis in der Stadt gegeben habe, seien es in diesem Jahr nur noch 1008 gewesen – also eine Halbierung der Zahlen in nur acht Jahren. Potsdams Sozialdezernentin Elona Müller-Preinesberger (parteilos), die ebenfalls zu der Auszeichnung des GFZ auf den Telegrafenberg gekommen war, begründete dies mit dem Geburtenknick nach der Wende. „Es werden wieder mehr, aber das Niveau von vorher werden wir nicht erreichen“, sagte sie.
Am GEZ denkt man derzeit über neue Werbemöglichkeiten etwa via Facebook nach, um die Ausbildungsplätze besetzen zu können, sagte Schwartze. Denn dass in Potsdams Wissenschaftseinrichtung nicht nur Studenten ausgebildet werden, ist bei vielen offenbar noch nicht präsent.
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