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Neu in Potsdam. Frank Bösch ist Ko-Chef des ZZF und Professor an der Uni.

© A. Klaer

Homepage: Als sich der Krieg in die Träume schlich

Der Zeithistoriker Frank Bösch untersucht das Alltagsleben in der Bundesrepublik der 70er und 80er Jahre

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Wenn Frank Bösch über die 70er und 80er Jahre spricht, dann interessieren ihn weniger die Friedensbewegung, die Proteste gegen den Nato-Doppelbeschluss und der Terror der RAF. Der Zeithistoriker lenkt den Blick stattdessen aufs Private: „Der frühe Sendeschluss von den damals existierenden drei Fernsehprogrammen, das Aufkommen der Schichtarbeit und die Wandlung des Wohnzimmers zum Raum, auf dessen repräsentative Ausstattung viel Mühe verwendet wurde, das sind Themenfelder, die von der Zeithistorie bisher kaum wahrgenommen worden sind“, sagt der 43-Jährige, der jetzt als Professor an die Universität Potsdam berufen wurde und gleichzeitig neuer Ko-Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) ist. „Der Boom der Zeitgeschichtsforschung und ihre Blindstellen“ betitelte er seine Antrittsvorlesung, die er im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) hielt.

„Die 70er und 80er Jahre waren nicht schwarz oder weiß, sondern sehr bunt“, stellt Bösch, der bereits an den Universitäten in Göttingen, Bochum, London und Gießen geforscht hatte, fest. Der recht jugendlich wirkende Bösch, der mit seiner Frau und drei Kindern nach Potsdam gezogen ist, blickt bereits auf eine umfangreiche Liste viel beachteter Veröffentlichungen zurück und plant, auch in Potsdam neue Forschungsschwerpunkte zu etablieren. Er interessiert sich für Forschungsgebiete, die abseits des bisherigen Mainstreams liegen: Die Alltagskultur der 70er und 80er Jahre, die Integrationskraft von Vereinen und Parteien, die Veränderungen der gesellschaftlichen Normen durch die Diskussion über Skandale und Tabubrüche.

Obwohl die zeithistorische Forschung gegenwärtig, auch mit zahlreichen privat finanzierten Forschungsprojekten, einen Boom erlebe, seien weite Teile des bundesrepublikanischen Alltagslebens für Wissenschaftler noch Terra Incognita, betont er. „Das bundesdeutsche Privatleben erschien vielen Forschern bisher, im Gegensatz zum Alltagsleben der DDR, als zu langweilig“, meint Bösch. Seiner Ansicht nach hat jedoch gerade die Struktur des Alltags der „gewöhnlichen Leute“ einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschichte Deutschlands in der Nachkriegszeit gehabt.

„Offiziell zeigte man sich glücklich über den Wiederaufbau, das Wirtschaftswunder und das neue Auto, aber wie stand es mit dem Schlaf der Menschen?“, fragt Bösch zum Beispiel. Bisher rudimentäre Forschungsergebnisse würden nahelegen, dass die meisten Menschen in den 70er und 80er Jahren zu wenig und unruhig geschlafen hätten. Das habe einerseits an der damals erheblich ausgeweiteten Schichtarbeit gelegen. Andererseits vermutet Bösch ein Nachwirken der Traumata des Krieges, die tagsüber verdrängt worden seien, sich aber nachts in die Träume geschlichen hätten.

Die 70er Jahre würden unter Zeithistorikern zumeist als eine Zeit der Krise gewertet, nicht zuletzt wegen der Ölkrise, die für autofreie Autobahnen an Sonntagen gesorgt hatte. Zeitzeugen würden dies jedoch häufig anders werten. Sie meinen, der Spaziergang über die Autobahn sei recht entspannt gewesen. Das Telefon als neu eingeführtes Massenkommunikationsmittel habe in den 70er Jahren für eine ganz neue Art des Kontaktes zueinander gesorgt.

Tiefe, weiche Sofas in Wohnzimmerecken hätten soziale Wärme signalisiert, erklärt Bösch, vielleicht müsse das Bild der 70er revidiert werden. Sein Forschungsinteresse gilt jedoch nicht nur dem kleinteiligen Alltag, sondern auch Großereignissen wie dem Untergang der Titanic. Des Bild des Luxusliners, der am 15. April 1912 in den eisigen Fluten versank, ist noch heute eine Medienikone. Bösch fragte in seinem Vortrag nach der Trauer der Hinterbliebenen und danach, wie sich diese in den damaligen Medien niedergeschlagen hat.

Bekannt wurde der Wissenschaftler nicht zuletzt durch seine Untersuchung von „Öffentlichen Geheimnissen“. Darin beschreibt er, wie Skandale in den Medien gemacht und wahrgenommen werden. Häufig hätten Skandale weniger der Auflagensteigerung, als vielmehr politischen Interessen gedient. So habe beispielsweise der sozialdemokratische „Vorwärts“ 1902 den Vorwurf lanciert, der Großindustrielle Krupp vergnüge sich mit Knaben auf Capri und machte damit Stimmung gegen den Industriellen. Bei seiner kommenden Forschung in Potsdam interessiert Bösch jedoch zunächst nicht der Skandal, sondern das gewöhnliche Zeitgeschehen.

Richard Rabensaat

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