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Landeshauptstadt: Alte Dame unter Dampf

Der einstige Schlepper „Gustav“ schippert heute vergnügte Gesellschaften über die Havel-Gewässer. So auch am Sonntag, mit PNN-Leserinnen und -Lesern an Bord. Es gab schöne Aussichten, lautes Hupen aus der Dampfpfeife und rhyt

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Mit dem Ölkännchen werden der alten Dame die Gelenke geschmiert und dann stampft sie los. Trübes, dunkelgrünes Havelwasser schwappt an die stählerne Bordwand. Früher hatte die 99 Jahre alte „Gustav“ schwere Binnenkähne im Schlepptau. Heute schippert sie vergnügte Gesellschaften an malerischen Landschaften, Villen und Schlössern vorbei.

Diesmal sind 50 PNN-Leserinnen und Leser an Bord. Die meisten „Gustav“-unerfahren, weshalb sie sich um die kostenlose Mitfahrt bewarben. Es ist die zweite von insgesamt zehn H2 O-lala-Aktionen, zu denen die Potsdamer Neuesten Nachrichten im diesjährigen Themenjahr Faszination Wasser einladen. Die dreistündige Tour mit dem Dampfschiff ist eine Fahrt ins Blaue, bis Chefredakteur Michael Erbach kurz vor dem Ablegen unter den Sonntagsfahrern abstimmen lässt. Die meisten sind für die südliche Strecke Richtung Schwielowsee. Der einstige Schlepper setzt zum gemächlichen Wendemanöver im Potsdamer Hafenbecken an. Um die übrigen Wasserverkehrsteilnehmer zu warnen, gibt es ein dröhnendes Signal aus der Dampfpfeife. Die Fahrgäste halten sich blitzschnell die Ohren zu und lachen über ihre Erschrockenheit.

Auch in Caputh ist manchmal das markante Hupen des Ausflugsdampfers zu hören, „und uns sehr vertraut“, wie Mutter Beate sagt. Deshalb wollten die Sorge-Ehlers immer mal mit. Das PNN-Angebot kam da wie gerufen. Papa Bernd und Sohn Matthias erkunden die Technik, Beate mit Tochter Leonie absolvieren das Damenprogramm: Beine und Seele baumeln lassen.

Langsam wie ein Bühnenprospekt zieht die Silhouette von Potsdam-West und Brandenburger Vorstadt vorbei: Neustädter Havelbucht mit der Gaststätte Seerose und den bunten Hochhäusern, Persiusspeicher und Art“otel, Olympiastützpunkt und Tagungshotel. Auf der anderen Seite schaut man auf Hermannswerder, in beschauliche Gärten und einen interessanten Häusermix. In gemütlicher Fahrt überholt das Dampfschiff kleine Boote, hinter deren Steuerrädern stolze Freizeitkapitäne stehen. Auf den blank geputzten Bugs halbnackte Schönheiten, als Galionsfiguren drapiert.

Max ist schuld. Der dreijährige Dreikäsehoch findet Schiffe einfach klasse. Deshalb musste die ganze Familie Apel – Vater, Mutter und die 16 Monate alte Schwester – mit an Bord. Mit großen braunen Augen guckt der Blondschopf durch die geöffneten Luken in den Maschinenraum. Der Geruch von Dampf und Schmieröl steigt nach oben. Im immer gleichen Rhythmus heben und senken sich die Kolben der Maschine aus dem Baujahr 1908. Das 31,89 Meter lange Schiff bebt unter der Bewegung der Dreifachkompension. „Positive Vibrations“ steht auf einem Aufkleber, der an einer Stahlstrebe im Schiffsbauch klebt. Hier zwischen Dampfmaschine und Heizkessel ist der Arbeitsplatz von Uli Kuhberg. Der 48-jährige Maschinist im Blaumann öffnet – immer auch „zum Beweis“, dass hier wirklich mit Dampf gefahren wird – die Klappen zu den Heizröhren. Gluthitze dringt in den Vorraum und lässt den salzigen Schweiß in die Augen tropfen. Kuhberg schützt sich mit einem weißen Stirnband. Etwa 45 Grad seien hier unten, schätzt der Maschinist. Das hält die Mitreisenden nicht davon ab, sich in Dreiergruppen in den Maschinenraum zu begeben.

„Wir hatten früher selbst ein Boot“, erzählt Wolfgang Weißleder und zieht eine Schwarz-Weiß-Fotografie aus seiner Brieftasche. Sizzo habe das geheißen und sei ein umgebautes DDR-Polizeiboot gewesen. „Jetzt haben wir dafür aber keine Zeit mehr“, erklärt seine Frau Marion. Um die Wasserverrücktheit dennoch ausleben zu können, fährt das Ehepaar genussvoll Ausflugsdampfer. Weizenbier und Weißwein werden von der abendlichen Sonne durchleuchtet.

Schiffsführer Jörg Vokoun hält den Kurs. Er thront in dem winzigen Führerstand und hat den besten Überblick. „Es gibt durchaus schlechtere Jobs“, kommentiert er sein Glück, mit der Gustav die Havelgewässer abfahren zu dürfen. Dass die Fahrgäste ihn mit „Kapitän“ ansprechen, hört er allerdings nicht gern. In der Binnenschifffahrt hieße das nun mal Schiffsführer. „Hallo Jörgi“, ruft es plötzlich aus dem Messingtrichter rechts von ihm. Sprechtest vom Maschinenraum zur Brücke. Sprachrohr nennt es Vokoun, „mein Handy“ der Mann unter Deck. Kuhberg muss nun ein paar Kohlen nachlegen. Bei zwei bis drei Zentnern liege der Verbrauch pro Stunde. In einer Saisonwoche werden rund fünf Tonnen durch den Schornstein gejagt. „Wir wollen ja schließlich Dampfer fahren“, sagt der Maschinist. Deshalb gebe es auf der Gustav keine Automatik, keine Elektronik, keine Computer. „Nur einen Dieselgenerator, der den Strom für das kühle Bier und den heißen Kaffee liefere. Der Verzicht auf die Automatik bringt Bootsmann und Grillmeister Andi Hartmann in Koordinierungsnot. Schnell werden die Rostbratwürste und Steaks gewendet. Dann flitzt Hartmann los, um den Schornstein der Gustav mit einem Flaschenzug einzuholen. Mit dem hohen Aufbau passt der Dampfer nicht unter alle Brücken hindurch und muss deshalb eingeholt werden. Wer direkt unter dem herunterkommenden Schlot sitzt, bekommt noch einen Hauch Extrawärme. Die schattenspendende Balustrade und der Fahrtwind helfen, das zu überstehen .

Es ist das Alter des Schiffs, das Seebären wie Gerd Janke, Neugierig macht. Der große Mann mit der sonnengegerbten Haut und dem silbrigen Bart ist selbst im Besitz von Binnen- und Küstenschein, mietet sich einmal im Jahr mit seiner Frau zusammen ein Boot und befährt dann Brandenburgs Wasserstraßen oder schippert an Frankreichs und Spaniens Küsten entlang. Aber so eine alte Dampfmaschine habe einfach ihre eigenen Reize. Auch für Gerd Janke war der Sonntagsausflug mit der Gustav eine Premiere – ein Geschenk seiner Frau zum Geburtstag.

Kuhbergs Blick auf die Welt hat Bullaugengröße. Durch die runde Öffnung sieht man ein bisschen Wasser, Schilf, einen Steg. „Jetzt sind wir an der Fähre Caputh“, erklärt er. Als der 48-Jährige noch die Weltmeere befuhr, hätten ihn seine Kumpels auch immer nach oben locken wollen. „Mir reicht dieser Ausschnitt“, sagt er sichtlich zufrieden. Er hat ohnehin fast nur Augen für die alte Dame, die es immerhin auf 250 PS bringt. Heute würde die Maschine aber nicht mehr getrieben, sondern vor allem gehegt und gepflegt. Damit das gute Stück auch weiterhin auf Tour gehen kann, wird auf einem kleinen Zettel neben einem Spendenbehälter um eine Gabe für den Erhalt der Dreifachexpansionsmaschine gebeten. Unter den Fahrgästen am Sonntag sind auch einige spendable Gönner, die in ihrer Begeisterung gerne etwas geben. Jedes Jahr müsse die Gustav durch den TÜV. Vor der Kontrolle durch den technischen Überwachungsdienst zwänge er sich durch die schmale Luke im Kessel und überprüfe, ob die Dichtungen und die Rohre in Ordnung seien. „Da wollen Sie durchpassen“, staunt Bernd Sorge-Ehlers und vergleicht in Gedanken die breiten Schultern von Uli Kuhberg und die kleine Kesselöffnung. „Das geht“, schmunzelt der Maschinist. Ob Seemannsgarn oder Tatsache, beeindruckend sind die Geschichten um den alten Schlepper allemal.

Die leicht bewegte Wasseroberfläche spiegelt das immer noch satte Blau des Himmels. Die Ufer sind gesäumt von Schilf und Weiden, die wie zur Erfrischung ihre biegsamen Äste ins kühle Nass halten. Die Postkartenmotive werden gerahmt von sich gegenüber Sitzenden, die sich an kleinen auf den Boden montierten Tischchen zuprosten. Monika Leu ist eingefleischte PNN-„Aktivistin“. Ob Fahrrad- oder Wandertour: Sie habe schon oftmals das Glück gehabt, dabei sein zu dürfen, erzählt sie. „So auch diesmal.“ In ihrer Begleitung ist Marina Schulze, die allein schon wegen ihres Vornamens prädestiniert für Wasserausflug ist. Sie sei in Phöben und damit direkt an der Havel aufgewachsen. Wasser ist ihr Element.

Der Maschinist rennt gegen ein dünnes Blechschild, das vor dem engen Verbindungsgang zwischen Maschine und Kessel hängt. „Meine Gedächtnisstütze“ sagt er und weist auf die Aufschrift: Pumpe aus. Er erzähle immer so viel und gerne, dass er zwischenzeitlich bestimmte Handgriffe vergesse. Der Griff zum Ölkännchen aber scheint automatisiert. Damit die Gelenke der 99-Jährigen auch schön geschmeidig bleiben.

Nicola Klusemann

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