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Landeshauptstadt: Älteste Deutsche gestorben

In Potsdam geboren, kam sie nach einem dreiviertel Jahrhundert wieder heim. Frieda Müller wurde 110

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In Potsdam geboren, kam sie nach einem dreiviertel Jahrhundert wieder heim. Frieda Müller wurde 110 Drewitz - Blumen liegen am Bett von Frieda Müller. Abgelegt von Heimbewohner und Pflegern, die sie seit einem Jahrzehnt begleiten. Es ist der Abschiedsgruß von der bislang ältesten Frau der Bundesrepublik, die 1894 in Potsdam geboren wurde, mit zwanzig fortging und nach der Wiedervereinigung mit 96 Jahren zurück in ihre Heimat kam. Am Donnerstag gegen 16.30 Uhr schlief sie im Drewitzer Pflegeheim Haus Abendstern ein, für die Ewigkeit. In 87 Tagen wäre sie 111 Jahre geworden. Die letzten neun Jahre verbrachte die ehemalige Hutmacherin in der Pflege des Teams um Heimleiter Manfred Boesang. Bettlägerig und kaum ansprechbar. Doch wer sie kannte, erzählt Boesang, konnte ihre Gefühle lesen. Sie waren ins Gesicht geschrieben: seien es Freude, Traurigkeit oder Schmerzen gewesen. Ein Stückchen Schokolade oder ein Gläschen Sekt habe sie erfreut, zügige Musik zum Lachen gebracht. Bis zuletzt, denn ihr Zustand sei bis dem letzten Herzschlag nicht anders gewesen als in den vergangenen Jahren. Der 62 Jahre alte Kurt Vogt, ihr Neffe, war der Mensch, der Frieda Müller am besten kannte. „In jungen Jahren war sie eine sehr schöne Frau“, sagte er. Gemeinsam mit seiner Familie trauert Vogt, denn sie war für ihn wie eine zweite Mutter und für seine Kinder wie die eigene Oma. Dabei verbindet Frieda Müller und Kurt Vogt aus Bergholz-Rehbrücke ein besonderes Schicksal. Zwei Jahre lang fuhr die gebürtige Potsdamerin mit der Bahn durch Deutschland, vorbei an Trümmern und den Ergebnissen eines sechsjährigen Weltkrieges. Ein halbes Jahrhundert Leben kannte die adrette Dame bis dahin. Sie hat die Regierungszeit von Kaiser Wilhelm II., das Ende der Kaiserzeit, den Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 und beide Weltkriege erlebt. Nun suchte sie das Schicksal ihrer eigenen Familie in den Trümmern, das ihres Neffen Kurt Vogt. Hamburg, München, Köln, Dresden – auf ihrem Weg durch Deutschland hatte Frieda Müller zwischen 1945 und 1947 immer einen neuen Hinweis über den Aufenthalt von Kurt Vogt in der einen und ihrer Reisetasche in der anderen Hand. Die an den Bahnhöfen ausgelegten Rotkreuz-Bücher waren ihr erster Anlaufpunkt, ihre Hoffnung auf ein gutes Ende. Bei einem Zwischenstopp in Bamberg im Jahr 1947 brachte eines der Bücher den entscheidenden Hinweis: Ein Neuzugang, auf dessen Beschreibung das Antlitz ihres Neffen passte. Eingetragen auf der letzten Seite des Buches und untergebracht im Kinderheim Streitberg – doch dort war Kurt Vogt nicht bekannt. Frieda Müller, deren Mann Bahnbeamter war und die daher mit einer Pfennigkarte durch Deutschland fahren konnte, wagte von einer Eingebung getrieben einen weiteren Besuch in diesem Kinderheim und sah beim Hereinkommen auf der Freitreppe ihren Neffen stehen. „Kurti, mein Kurti“, soll sie gerufen haben, doch Kurt Vogt konnte sich damals nicht an die Frau erinnern, die sich als seine Tante zu erkennen gab. Schwer verletzt und ohne seinen richtigen Namen kam er nach der Flucht der Familie aus Tabor allein in Streitberg an, kurze Zeit später wollten ihn zwei der Heimschwestern adoptieren. Frieda Müller aber konnte nachweisen, dass „Kurti“ Kurt Vogt war und schickte ein Telegramm an ihre Schwester, seine Mutter, nach Potsdam. Noch heute bewahrt Kurt Vogt das Telegramm auf, worauf kurz und knapp verfasst „Kurti gefunden“ stand. Das Leben der Frieda Müller ist eine deutsch-deutsche Geschichte, denn nach dem Zweiten Weltkrieg zog sie mit ihrem Mann Wilhelm, einem Bahnbeamten, in nach Schweinfurt. Der starb 1958, noch einige Jahre vor dem Mauerbau 1961. Ihr Neffe Kurt Vogt fand kurz nach seiner Flucht aus der DDR erneut ein Zuhause bei Frieda Müller, später holte er die Tante in sein Generationen-Haus nach Bamberg. Gepflegt von Kurt Vogts Frau, kehrte Frieda Müller 1990 zurück nach Potsdam. Sie kam zusammen mit ihrem Neffen Kurt Vogt. Über ihre letzten Jahre sagt der Neffe: „Es ist schon eine Qual, wenn Menschen nicht mehr so am Leben teilnehmen können.“ Das Reden fällt Kurt Vogt schwer. Er ist scheu geworden, denn zu viele Menschen haben in der letzten Zeit mit ihm über Frieda Müller sprechen wollen. Für einige Monate war sie die älteste Deutsche, nachdem der Düsseldorfer Hermann Dörnemann im Alter von 111 Jahren Anfang März gestorben war. Nun ist eine 109-jährige Berlinerin ältester Mensch Deutschlands. Die Hochbetagte lebe noch in ihrer Wohnung im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, sagte eine Mitarbeiterin des Bezirksamtes. Jan Brunzlow

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