Homepage: Am Geburtsort der Wolkenkratzer
Baugeschichte im Vergleich: Potsdamer Architekturstudenten reisten nach Chicago
Stand:
An der Fachhochschule herrscht ein lässiger Umgang. Die Kohle auf dem Grill vor dem Casino glüht schon durch, auf der Mulitmedialeinwand drinnen liefern sich noch zwei Architekten ein packendes WM-Spiel mit der X-Box. Eine Auswahl aus rund 10 000 Digitalbildern wird noch auf die Rechner gespeist, bis auf drei Beamern gleichzeitig die Architekturwelt Chicagos erscheint. Der Blues „Sweet Home, Chicago“ macht Stimmung. Professor Ludger Brands begrüßt zu diesem locker gestalteten Forschungsbericht zum Thema Großstadtarchitektur den Rektor der Fachhochschule, Johannes Vielhaber. Die ehemalige Rektorin, Helene Kleine, hatte die 20 Studenten auf ihrer Exkursion an den Lake Michigan sogar begleitet.
Im Lehrplan der Potsdam School of Architecture steht auch das Studium der europäischen Großstadt. Und Chicago gilt als die Geburtstadt des Hochhausbaus, erklärt Exkursionsleiter Brands. Das erste, leider abgerissene Hochhaus war das 16-stöckige Home Insurance Building von 1895, gebaut von William Le Baron Jenney.
Ähnliche Rasterstädte, die auf einem schachbrettartigen Plan entworfen sind, finde man in Europa in Turin und Barcelona, so Brands. Mit der kleinen Residenzstadt Potsdam hat Chicago nicht viel gemein. Aber immerhin, erzählt Professor Brands, haben sich die Architekten Chicagos bei der Konstruktion einer eigenen Baugeschichte vielfältige Anleihen in Europa gesucht. Und so wie in Potsdam holländische, französische, italienische oder auch russische Baukunst zum Vorbild genommen wurde, finden sich auch in Chicago eine Menge Zitate. Wie die italienische Palazzo-Architektur, „freilich in anderem Maßstab“, so Brands.
Ludwig Mies van der Rohe ist ein weiteres Bindeglied zwischen Havel und Chicago River. Der Großmeister der Stahl-und-Glas-Architektur begann seine Karriere mit Villen, die in der Villenkolonie Babelsberg stehen. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg siedelte er nach Chicago um, wo sein Büro nun Hochhäuser entwarf. Unweit der Metropole findet sich mit dem Farnthworth House van der Rohes „Manifest“, ein Einraumhaus ohne Mauern, das als kleiner Prototyp der Berliner Neuen Nationalgalerie gilt.
Eine ehemalige FH-Studentin von Brands ermöglichte den Besuch im Büro des Stararchitekten Helmut Jahn, in dem sie seit drei Jahren arbeitet. „Die Situation für unsere Absolventen wird langsam besser“, hat Ludger Brands festgestellt. Helmut Jahn hat nur 60 Mitarbeiter, berichtet Brands, andere Architekturbüros mit ähnlichem Ruf hätten in den USA oft mehrere Hundert Mitarbeiter. Während das Büro von sich selbst sagt, nur „Glashäuser“ zu bauen, residiert es im 35 East Wacker Building, einem Hochhaus mit stark historisierender Fassade, das eine interessante Geschichte hat. In dem Café unter der Kuppel, fast in den Wolken, in dem jetzt ein Konferenzraum eingerichtet ist, trafen sich die Mafia-Bosse, um den Alkoholhandel zur Zeit der Prohibition zu organisieren.
Zur Vorbereitung der Exkursion im Mai dieses Jahres hatten die Studenten einen dicken, ringgebundenen Architekturführer zusammengestellt. Neben Fotos der sehenswerten Gebäude sind die wichtigsten Angaben dazu, Stadtpläne und Touren zu finden. Der Führer im handlichen Format ist so praktisch wie attraktiv gestaltet. Er gehörte für alle, die Spuren von Chicago in Potsdam suchen – und umgekehrt – eigentlich unbedingt publiziert.
Matthias Hassenpflug
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: