Landeshauptstadt: „Am schönsten war es auf dem Mount Everest“
Jörg Stingl aus Chemnitz bestieg den höchsten Berg eines jeden Kontinents und erzählt darüber in der nächsten Woche in Potsdam
Stand:
Am 17. April wird mit Jörg Stingl Deutschlands derzeit erfolgreichster Bergsteiger im Potsdamer Nikolaisaal über seine bisherigen Exkursionen berichten. Der 46-jährige Extrembergsteiger aus Chemnitz stand auch schon auf dem mit 8848 Metern höchsten Berg der Erde, dem Mount Everest.
Wie war es am 22. Mai 2001 auf dem Mount Everest, Herr Stingl?
Kalt. Es war sehr anstrengend, überhaupt hoch zu kommen, und oben konnte man den Erfolg nicht ganz so genießen wie auf niedrigeren Bergen, weil man auf dem Gipfel des Mount Everest erst die Hälfte der Strecke geschafft hat. Man muss ja wieder vom Berg herunter, so dass der Kopf dort oben nicht ganz frei für Emotionen ist.
Sie haben den höchsten Punkt der Erde als zweiter Deutscher – nach Hans Engel 1978 – ohne, wie es heißt, künstlichen Sauerstoff erreicht. War das nicht zu riskant?
Es war natürlich ein Risiko dabei, aber dieses Risiko macht einen Teil des Abenteuers aus. Ich hatte mir vorgenommen, es genau auf diese Art zu schaffen. Auch schon 1996 bei meinem ersten Versuch, als ich es mit einem anderen Team aber nur bis auf 7800 Meter Höhe schaffte. Von diesem sportlichen Anspruch ohne künstlichen Sauerstoff wollte ich nicht mehr abweichen, was 2001 dann ja geklappt hat.
Was bedeutet eigentlich ohne künstlichen Sauerstoff?
Ohne Zuhilfenahme von Sauerstoffflaschen.
Auf diese Art haben Sie als erster Deutscher überhaupt den höchsten Berg jedes Kontinents – die so genannten Seven Summits – bestiegen. Auf welchem war es am schönsten?
Am schönsten war es auf dem Mount Everest, weil wir dort am längsten darum gekämpft haben, es zu schaffen. Aber jeder Gipfel hat seine besonderen Reize, das macht das Gesamtprojekt so interessant. Ein sehr schöner Gipfel war auch der Mount Vinson in der Antarktis, der uns großen Respekt einflößt. Wir hatten lange keine Ahnung, wie wir zu diesem Fünftausender mitten im Eis kommen sollten, tausende Meilen von der letzten Zivilisation entfernt. Das wurde daher auch eine ganz neue Art von Expedition und eine Tour, die uns auf eine neue Art an unsere Leistungsgrenzen gebracht hat.
Wenn Sie auf einen dieser Seven Summits eine Hütte für besinnliche Stunden setzen könnten – welchen würden Sie auswählen?
Wahrscheinlich den Kilimandscharo in Ostafrika. Mal abgesehen von den vielen Touristen, die dort oben vorbei kommen, ist das der schönste höchste Punkt. Zumal Afrika immer eine Reise wert ist.
Bisher haben Sie fünf Achttausender bestiegen. Wollen Sie alle 14 bezwingen?
Alle 14 werde ich nicht mehr schaffen. Ich bin jetzt 46, kann das – denke ich – noch 15 Jahre machen und müsste daher praktisch alle zwei Jahre einen besteigen. Diesen Zeitdruck will ich mir nicht mehr auferlegen. Aber einen, zwei oder ein paar mehr der ganz Großen könnten es noch werden. Eines meiner nächsten Ziel ist der 8611 Meter hohe K2 in Pakistan, ein für unsere Verhältnisse abgelegener und extrem schwierig zu besteigender Berg.
Zunächst treibt es Sie aber in der kommenden Woche nach Potsdam. Wie gefällt es Ihnen in der preußischen Tiefebene?
Auch gut. Ich war schon in Potsdam, denn ich habe mittlerweile einen ganz guten Draht zum rbb-Fernsehen.
1980 waren Sie als Rückenschwimmer bei den Olympischen Spielen in Moskau. Warum haben Sie sich später vom Wasser auf die höchsten Gipfel der Welt orientiert?
Nach zehn Jahren Schwimmen wollte ich etwas ganz anderes machen. Im Leistungssport geht es ja stets um Meter und Sekunden, kann man nur Weltrekordler sein, wenn man die Leistung eines anderen überbietet. Beim Bergsteigen setzt man sich selbst sein Ziel, kann man sich die Messlatte so hoch legen, wie man möchte. Deshalb empfindet jemand, der auf einer leichten Route an seinem Leistungslimit klettert, die gleichen Strapazen, Ängste und Freude über den Erfolg wie jemand, der technisch besser ist und auf einer schwereren Route ebenfalls an sein Limit kommt. Man muss nicht jemanden schlagen, sondern macht das für sich selbst. Das fasziniert mich.
Sie werden jetzt an der Havel über Ihr Besteigen der höchsten Berge der Kontinente berichten – worauf können sich die Potsdamer dabei freuen?
Ich werde viele spektakuläre Bilder vom Mount Everest wie von allen Seven Summits mitbringen und zeigen. Auch von solchen, bei denen man sich nur ganz schwer vorstellen kann, dass das Bergsteigen dort funktioniert, wie beispielsweise beim kältesten Berg der Welt, dem Mount McKinley im Norden Alaskas, und dem Mount Vinson in der Antarktis. Ich will aber nicht nur Extrembergsteigen zeigen, sondern auch dazu anregen, den einen oder anderen Berg vielleicht einmal selbst zu besteigen. Den Kilimandscharo zum Beispiel oder den höchsten europäischen Berg, den Elbrus im Kaukasus.
An denen könnte man sich auch als Otto Normalverbraucher versuchen?
Ja. Die sind nicht so spektakulär und absturzgefährdet wie die meisten ganz großen Berge der Welt. Man könnte sich dafür beispielsweise einer Tour anschließen oder es auf eigene Faust probieren.
Wo und wie trainieren Sie für Ihre Gipfelstürme vor? Die Berge des heimischen Erzgebirges sind doch Peanuts für Sie.
Ich gehe viel mit dem Seil klettern, beispielsweise in der Sächsischen Schweiz, um diese Klettertechnik bestmöglich zu beherrschen. Auch in Thüringen und bei uns im Erzgebirge gibt es gute Felsen dafür. Entscheidend aber ist der Ausdauersport. Ich jogge und fahre viel Mountainbike für meine Kondition.
Mit Vorträgen wie dem bevorstehenden in Potsdam finanzieren Sie Ihre Expeditionen. Wohin soll die nächste führen?
Am 21. Juni geht es nach Pakistan zum höchsten Berg im zentralen Karakorum, dem Chogolisa.
Was reizt Sie an diesem Berg, der mit 7665 Metern kein Achttausender ist?
Die sportliche Herausforderung. Weil solche Berge nur wenige Meter niedriger sind, sind sie weniger frequentiert und man findet nur schwer jemanden, der dorthin mit kommt. Relativ einsam an einem solchen Berg unterwegs zu sein, das ist auch ein Teil des Abenteuers. Außerdem wollen wir sehen, wie es jetzt in Pakistan aussieht. Wir waren 2004 schon dort auf dem 8125 Meter hohen Nanga Parbat, und seitdem gab es einige politische Entwicklungen. Jetzt einmal wieder nach Islamabad zu kommen und die Veränderungen zu sehen, darauf freue ich mich. Zum Chogolisa werden wir dann zehn Tage Anmarsch zu Fuß brauchen, gemeinsam mit etwa 50 bis 60 Pakistani, die unsere Ausrüstung und unser Expeditionsgepäck dorthin bringen. Am Berg selbst werden wir zu zweit allein agieren.
Haben Sie schon eine Ahnung, wie es dort oben aussieht?
Ich habe bisher einige Bilder gesehen und weiß deshalb, dass das ein extrem schmaler und spitzer Grat ist. Auf den großen Bergen hat man oft ein Plateau, auf dem man stehen kann. Ganz oben auf dem Chogolisa werden die Beine links und rechts runterhängen.
Hat man nach einer solchen Besteigung wegen der enormen körperlichen Belastung nur mit sich zu tun oder auch ein Auge für die Schönheit der Natur rings herum?
Wenn man den Gipfel erreicht hat, hat man meist schon noch die Zeit, sich ein bisschen umzugucken und ein paar Fotos zu machen. Aber auf den letzten paar hundert Metern bergan muss man um jeden Schritt kämpfen. Danach hat man weniger Augen für die Schönheit der Berge, sondern vor allem die Befriedigung, es wirklich geschafft zu haben. So richtig wird der Erfolg dann nach dem Abstieg im Basislager genossen und ein bisschen gefeiert.
Ging es Ihnen vor sieben Jahren auf dem Mount Everest auch so?
Ja, eigentlich noch schlimmer, weil der Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff eine Tortur ist. Da bin ich wirklich an mein Limit gekommen, das ist mir extrem schwer gefallen. Ob ich es auch in 9000 Meter Höhe geschafft hätte – wer weiß.
Das Interview führte Michael Meyer.
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