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MEINE Woche: Am Übergang

Ich sitze im Bus, auf dem Heimweg von der Schule, denke über das Muster der Sitze nach, über das Leben im Allgemeinen, die Liebe und welche interessanten Wege beides manchmal geht, als mich die Stimme der unsichtbaren Frau aufschreckt, die die Haltestellen ankündigt. „Nächste Haltestelle: Übergang.

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Ich sitze im Bus, auf dem Heimweg von der Schule, denke über das Muster der Sitze nach, über das Leben im Allgemeinen, die Liebe und welche interessanten Wege beides manchmal geht, als mich die Stimme der unsichtbaren Frau aufschreckt, die die Haltestellen ankündigt. „Nächste Haltestelle: Übergang.“ Ich runzle für einen Moment die Stirn. Unterhalb der Autobahnbrücke über der Friedrich- Engels-Straße, wo Fußgänger über eine Treppe auf die Brücke und wieder hinunter gelangen können: ein Übergang.

Und meine Gedanken, die aufgewühlt und unsortiert umherwirbeln, völlig aus ihrer Konzentration gerissen, gehen den unvermeidbaren, symbolbelasteten Weg: das anstehende Austauschjahr. Ich stehe kurz davor, an der Schwelle zwischen alter und neuer Welt, altem und neuem Leben. Je mehr ich mich dem Sommer nähere, desto mehr habe ich das Gefühl zu hetzen. Erstens aus dem Grund, weil ich nach wie vor nicht weiß, wann und wohin ich genau fliege und so jede Planung, die nach Langfristigkeit verlangt, unmöglich wird. Und zweitens, weil sich fast proportional zu den steigenden Temperaturen die Gründe mehren, hier zu bleiben. Natürlich stehe ich nach wie vor zu meiner Entscheidung – aber wenn sich bestimmte Dinge ändern, vergisst man das manchmal. Auch, wenn ich eigentlich sicher bin, die richtige Entscheidung getroffen zu haben

Wie das eben so ist: Auch wenn einem trotz dreier guter Gründe – der Helligkeit, dem Wecker, der Mutter – das Liegenbleiben als die sinnvollere Reaktion erscheint, muss man dennoch früher oder später aufstehen, wobei später Stress bedeutet. Abgesehen davon laufen die Vorbereitungen für die Reise: Neben der Planung einer finalen Abschiedsfeierei steht beispielsweise noch das Gespräch mit der amerikanischen Botschaft an, um das Visum ausgestellt zu bekommen. An sich ist das nur eine Formalität; da ich mit keinen islamistischen Gruppen verkehre und keinen terroristischen Akt plane, werde ich eher wenig zu befürchten haben.

Und offenbar habe ich den Punkt der offenen Möglichkeiten und Entscheidungen schon hinter mir gelassen. Nichtsdestotrotz sind auch die Geschehnisse in der Welt, wie die Anhäufungen von Unglücken in Japan neben den Neuerungen in meinem persönlichen Leben, ein Grund, eigene Entscheidungen zu hinterfragen und persönliche Verbindungen herzustellen. Die Berichte aus Japan haben mich nicht nur schockiert, sondern rücken das Land, für das ich mich bei meinem Austausch entschieden habe und für das Atomenergie kein zu hinterfragendes Thema darstellt, in ein unvorteilhaftes Licht .

Doch wie auch immer: Noch bin ich hier, am Übergang. Noch kann ich meine ablehnende Meinung zur Atompolitik unkommentiert vertreten und brauche mir keine Gedanken um den Sommer zu machen, denke ich. Bleibt die Frage, wieso ich, als der Bus sich ruckelnd in Bewegung setzt, einen Hauch Wehmut verspüre.

Johanna Rothmann ist 14 Jahre alt und Schülerin im Gymnasium Hermannswerder. An dieser Stelle berichtet sie in unregelmäßigen Abständen über ihre Erlebnisse und ihr geplantes Jahr in den USA.

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