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Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte über Afghanistan-Einsatz: Ambivalenter Einsatz
Militärhistoriker aus Potsdam haben untersucht, welche Auswirkungen der Afghanistan-Einsatz auf die Bundeswehrsoldaten hatte. Viele fühlten sich gestärkt, doch es gab Probleme nach der Rückkehr.
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Potsdam - Der Afghanistan-Einsatz hat die Bundeswehr verändert. Das gilt für den einzelnen Soldaten wie auch für das Verhältnis der Armee zu Deutschland. Zu diesem Ergebnis kommen Potsdamer Militärhistoriker in einer aktuellen Studie. „Nicht wenige der Soldatinnen und Soldaten sind mit einem gestärkten Selbstbewusstsein aus dem Einsatz zurückgekehrt“, sagt Anja Seiffert. Sie ist Projektleiterin für Einsatzbegleitung beim Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). „Viele Soldaten berichten, an dem Einsatz gewachsen, auch ernster geworden zu sein, verändert aber hat der Einsatz fast alle“, so Seiffert.
Zurück in Deutschland hätten die Rückkehrer jedoch erfahren, dass ihr Einsatz hier häufig kritisch wahrgenommen wurde. Hinzu kommt, dass ein Teil der Soldaten die Eindrücke und die Gewalterfahrungen, die sie im Krieg gemacht haben, nicht wieder loswird. Soldaten, die im Gefecht waren und beschossen wurden, berichten auch zwei Jahre später noch deutlich häufiger von psychischen und physischen Beeinträchtigungen als Soldaten aus der Etappe.
Erste Langzeitstudie über Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan
So etwas wie den Afghanistan-Einsatz hat es bei der Bundeswehr zuvor noch nicht gegeben. „Es handelt sich daher auch um die erste Langzeitstudie zu Einsatzsoldaten“, erklärt die Politikwissenschaftlerin Seiffert. Erstmals in der Geschichte der Bundeswehr seien Soldaten massiv in Kämpfe verwickelt worden, hätten die Erfahrung einer ständigen Bedrohung gemacht – und seien dabei auch noch wissenschaftlich begleitet worden. Immerhin mehr als ein Drittel (37 Prozent) der Soldaten ist der Studie zufolge mit dem Tod von Kameraden konfrontiert worden. Etwa ein Fünftel (21 Prozent) hat nach eigenen Angaben Gefechte gegen Aufständische überstanden.
Als die befragten Soldaten und Soldatinnen sich von März bis Oktober 2010 in Afghanistan aufgehalten hätten, sei die Sicherheitslage sehr angespannt gewesen, so Seiffert. Die Aufgabe der Einsatztruppe sei es gewesen, afghanische Sicherheitskräfte auszubilden und das Land zu stabilisieren. Damit einhergegangen seien Kampfeinsätze. Bei zwei zeitlich nahe zusammen liegenden Einsätzen seien erst drei, dann vier Soldaten getötet worden. Das mache sich auch bei den Soldaten bemerkbar, die nur logistische Aufgaben wahrnehmen würden und nicht unmittelbar in Kämpfe verwickelt gewesen seien. Eine diffuse Bedrohung hätten auch sie empfunden.
Desinteresse in der Heimat
Besonders problematisch seien vor diesem Hintergrund die Reaktionen in der Heimat gewesen. Es sei für die Soldaten eine „verstörende Erfahrung“, wenn sie im Auslandseinsatz ihr Leben für die Werte und Politik Deutschlands riskierten und daheim allenfalls auf „freundliches Desinteresse“ stießen, erklärt Seiffert, den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler zitierend.
Die Studie des ZMSBw hat die etwa 4500 Soldaten des 22. Deutschen Kontingents der International Stabilization Assistance Force (ISAF) befragt. Ihr Afghanistan-Einsatz dauerte von März bis Oktober 2010. Nicht alle Soldaten haben geantwortet, nur etwa 25 bis 33 Prozent. Das sei die übliche Rücklaufquote, so Seiffert. Gefragt worden sei nach der Selbsteinschätzung der Truppe, danach wie die Soldaten den Einsatz unmittelbar im Jahr 2010 und dann bei drei Befragungen danach empfunden hätten.
Folgen auch nach Jahren des Einsatz noch spürbar
Die Studie zeigt, dass auch nach mehr als zwei Jahren etwa sieben Prozent weiter an den körperlichen und psychischen Folgen von Kampfeinsätzen leiden. Das seien immerhin mehrere Hundert Soldaten, deren Lebensgefühl und Erfahrung sich auch auf den Rest der Truppe auswirken würde, erklärt Seiffert. Für diese sei der Einsatz mit „dramatischen Folgen“ verbunden gewesen. Soldaten, die in einem unmittelbaren Schusswechsel mit dem Tod bedroht worden seien, wären hierdurch häufig nachhaltig geprägt. In solchen Extremsituationen würden sich zeitlich befristete Überlebensgesellschaften bilden. „Das sind Grenzerfahrungen, bei denen sich sehr schnell zeigt, was für ein Typ Mensch man ist, das prägt“, bemerkt Seiffert. Es habe in Afghanistan ganz verschiedene Welten gegeben. „Drinnis“ und „Draussis“ nannten sich die Soldaten laut Seiffert gegenseitig. Also Soldaten, die nur im gesicherten Lager agierten und solche, die auch im Land im Einsatz waren. Konzepte der Bundeswehr wie das der „Inneren Führung“ stünden bei derartigen Einsätzen ebenfalls auf dem Prüfstand. Letztlich aber zeige der Afghanistan-Einsatz, dass eine wirkliche Konfliktlösung nur auf politischer Ebene zu erreichen sei.
Am Ende beurteilen die meisten den Einsatz positiv. Mehr als zwei Drittel geben an, schnell in ihr altes Leben zurückgefunden zu haben, selbstbewusster geworden zu sein und das Leben mehr zu schätzen zu wissen. Ganz anders steht es dagegen um die Einschätzung des Dienstes in Deutschland. Während die Extremerfahrung in der Kampfsituation anscheinend die Persönlichkeit stärke, wirkten der tägliche Kleinkrieg mit der Bürokratie in der Truppe und häufige Standortwechsel zermürbend, so Seiffert. Viele Soldaten (39 Prozent) sehen ihr Familienleben durch den Einsatz gefestigt. Die Erfahrung im Kampf und die Bedrohung lassen offensichtlich die Familie als sicheren Rückzugsort wichtiger erscheinen. Die Trennungsquote ist bei Soldaten, die im Kampfgebiet eingesetzt waren, nicht höher als in der übrigen Bevölkerung.
Soldaten wollen mehr Verständnis
„Wichtig ist den Soldaten, sich nicht als ein Spielball zu fühlen“, stellt Seiffert fest. Dazu sei es aber notwendig, dass der Dienst auch mit der Familie vereinbar ist. Es gehe ihnen vor allem um mehr Planbarkeit, mehr Unterstützung für ihre Familien und um mehr Verständnis, so die Wissenschaftlerin.
Richard Rabensaat
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