Homepage: Anerkennung statt Egoismus
Der renommierte Philosoph Axel Honneth kam zu einem Workshop an die Universität Potsdam
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Zwei Menschen unterhalten sich und geben sich zum Abschied die Hand. Zwei Menschen verlieben sich. Oder duellieren sich. Was diese Handlungen gemeinsam haben, ist die Anerkennung. Mal wird sie freiwillig gegeben, mal kämpferisch errungen. Anerkennung ist ein philosophischer Grundbegriff. Der Philosoph Axel Honneth hat ihn mit seinem Werk in die zeitgenössische Diskussion eingebracht. Für den renommierten Denker aus Frankfurt/Main sind Anerkennung und Freiheit untrennbar. Jüngst kam der Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung an die Potsdamer Uni. Er folgte einer Einladung des Philosophieprofessors Christoph Menke. In einem Workshop diskutierte Honneth mit 50 fortgeschrittenen Studierenden seine Thesen zu Freiheit und Anerkennung. Nicht nur die Philosophen kamen, auch in Pädagogik und Erziehungswissenschaft spielt Honneths Philosophie eine große Rolle.
Freiheit kann nicht nur aus rein individuellen Idealen entstehen, so Honneths zentrale These. Freiheit entstehe in einem Wirklichkeitsverhältnis. Damit distanziert sich Honneth von individualistischen Vorstellungen von Freiheit. Für ihn schränken äußere Verpflichtungen unsere Handlungsfreiheit nicht ein. Vielmehr ermöglichen sie erst Freiheit. Erst in der Erfahrung der Beschränkung, erläuterte Honneth, sind wir wirklich frei. Einfach den eigenen Kopf durchzusetzen, ist für ihn alles andere als wünschenswert. Freiheit erfahren wir nur, wenn andere Menschen unsere Wünsche erwidern. Wenn sie verstehen, was in uns vorgeht. Wenn wir uns in ihnen erkennen, wenn wir Anerkennung erfahren.
In einem ausführlichen Vortrag erläuterte Honneth, dass diese Sicht nicht selbstverständlich ist. Während zwei Vormittagen zeigte er, wie sich diese Idee der Freiheit über Jahrhunderte entwickelte: Die Vorstellung, dass die Gesellschaft und ihre Institutionen der Schlüssel zur Freiheit sind. Eine „Kultur der Freiheit“, wie er es nannte. Er gab aber zu bedenken, dass diese Vorstellung bis heute umstritten ist. Auch heute gibt es Leute, die den Dialog mit ihren Mitmenschen scheuen. Die sich nicht in die Gesellschaft einbinden lassen wollen. Dies sind Menschen, die nur sich selbst gehorchen wollen. Honneth betrachtete diese Haltung als Egoismus. Wer ganz spontan handeln wolle, wolle auch den Anderen nichts schuldig sein. Schon gar keine Erklärungen. Und Erklärungen spielen für den Lehrstuhlnachfolger von Jürgen Habermas eine große Rolle. Anerkennung kann es nur da geben, wo Menschen sich verstehen. Wo man sich einig wird.
Gesellschaftliche Institutionen, meinte Axel Honneth, müssten diese Einigkeit bewahren. Dabei wolle Honneth keineswegs die gestalterische Kraft des Einzelnen unterbinden. Einerseits sei Einigkeit unverzichtbar, wenn es darum gehe, eine freie Gesellschaft zu schaffen. Andererseits, so musste Honneth klarstellen, kann jeder Einzelne diese Einigkeit in Frage stellen. Dies könne aber nur im Rahmen bereits bestehender Institutionen geschehen. Als Zwang dürfe diese Voraussetzung nicht aufgefasst werden.
Damit bezog sich Honneth auf den Philosophen G. W. F. Hegel, aber auch auf Karl Marx. Hegel, der ab 1818 in Berlin Philosophie lehrte, fürchtete den aufkommenden Individualismus der modernen Welt. Besonders die jungen Wilden der deutschen Romantik waren Hegel ein Dorn im Auge. In seiner heute weltberühmten „Rechtsphilosophie“ versuchte Hegel, Umtriebe des Einzelnen einzudämmen. Nur im Staat, meinte Hegel, sollte der Einzelne frei sein. Doch Honneths historisches Vorbild geriet damals schnell in die Kritik. Hegel wurde als preußischer „Staatsphilosoph“ gebrandmarkt. Manche seiner Thesen schienen Zwang und Unterordnung zu befürworten. Dennoch, so war zu erfahren, möchte Honneth die Vorstellungen Hegels erneuern.
„Philosophie ist für mich ein Projekt der Reformierung“, sagte Honneth den PNN. „Einerseits geht es darum, zu verstehen, was wir tun.“ Doch andererseits müsse die Philosophie eine gestalterische Kraft entwickeln. „Ich möchte eine begründete Kritik der Gesellschaft leisten.“ Der Philosoph führte in dem Workshop vor, was er meinte. Geduldig und sorgfältig beantwortete er die Fragen der Studenten. Die hatten sich in Seminaren auf das Treffen vorbereitet. Und die Kommunikation gelang. Nachdenklich reagierte Honneth auf kritische Fragen, bat sich das Recht aus, seine Thesen weiter zu überdenken. So spürten die Studenten, was Honneth mit Anerkennung meint. Honneth erprobte Überlegungen, die später in ein Buch einfließen sollen. Nur eine Frage blieb offen: Wo sieht der Philosoph nun die Freiheit verwirklicht? Wo verwandelt Anerkennung die Verpflichtung in Freiheit? Da musste Honneth überlegen, zog ruhig an seiner Pfeife. „In der Liebe“, sagte er schließlich. „Das ist eine unverwüstliche Instanz der Freiheit.“ Mark Minnes
Mark Minnes
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