Homepage: „Anfangs glaubte er noch an Hitler“
Klaus-Jürgen Müller stellt heute sein Buch über Ludwig Beck, Kopf der Verschwörer vom 20. Juli, vor
Stand:
Wenn vom Widerstand gegen Adolf Hitler und dem gescheiterten Attentat am 20. Juli 1944 die Rede ist, fallen die Namen Stauffenberg und von Tresckow. Doch der organisatorische Kopf, der „ideelle und faktische Führungsmittelpunkt“ Ludwig Beck, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, scheint nur Experten bekannt. Woran liegt das?
Das hängt natürlich mit der Dramatik zusammen, die ein Attentäter wie Stauffenberg verkörpert. Der Mann mit der Bombe zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Tresckow wurde schon in den 1950er Jahren in dem Buch „Offiziere gegen Hitler“ von Fabian von Schlabrendorff, dem einzigen Überlebenden der Gruppe um Tresckow, ganz stark herausgestellt und das mit Recht. Ludwig Beck, dem sein Freund Wolfgang Foerster eine frühe biographische Skizze widmete, war nicht eine solche Attentätergestalt wie Stauffenberg. Er trat auch als Generalstabschef nie in der Öffentlichkeit groß in Erscheinung. Und als Haupt der Verschwörung blieb er zunächst sogar dem Regime verborgen.
Ist Ihr Buch „Generaloberst Beck. Eine Biographie“ der Versuch, diesen bedeutenden Mann des Widerstandes gegen Hitler bekannter zu machen?
Wenn ein Wissenschaftler ein Buch schreibt, hat er zuerst einmal Forschungslücken im Blick. Die letzte Biografie über Ludwig Beck liegt schon über 30 Jahre zurück. Inzwischen sind einige neue Quellen hinzugekommen, die seine Rolle innerhalb des Widerstandes klarer werden lassen. Eine neue Gesamtdarstellung Becks war überfällig. Trotz des Medienspektakels anlässlich des neuen Stauffenbergfilms mit Tom Cruise ist dieses Buch nicht durch ein öffentlichkeitswirksames, sondern viel eher aus einem primär wissenschaftlichen Motiv heraus entstanden.
Im Gegensatz zu früheren Arbeiten beschränken Sie sich in Ihrem Buch nicht nur auf Becks Widerstand gegen Hitler. Warum die intensive Beschäftigung mit seiner gesamten militärischen Karriere davor?
Schon 1980 habe ich ein Buch über Beck als Generalstabschef geschrieben, weil sich bis dahin die Beschäftigung mit ihm vor allem auf seine Rolle als Widerständler beschränkte. Aber die meiste Zeit seines Lebens war dieser Mann hoher Militär. In dem neuen Buch habe ich mich nun mit seinem gesamten Leben, seinem familiären Milieu, seiner militärischen Karriere insgesamt beschäftigt.
Welche Rolle spielte die familiäre Herkunft für Becks Entscheidung, sich gegen Hitler zu stellen?
Beck stammte nicht aus einer typischen Militärfamilie, sein Vater war Unternehmer und Wissenschaftler. Meine Frage war einerseits, was diesen Mann befähigt hat, ein hochkarätiger militärischer Fachmann zu werden. Andererseits warum er mit dem militärischen Milieu so radikal brechen konnte, dass er Umsturz und Attentat plante. Die Antworten sind in seiner Prägung durch das familiäre Milieu zu suchen. Beck war der typische Vertreter eines durch Leistung, nicht durch Herkunft bestimmten Bürgertums. Er hatte ein in der Familie vorgelebtes hohes bürgerliches Leistungs- und Verantwortungsethos verinnerlicht. Die seit seinem 18. Lebensjahr durchlaufene militärische Erziehung war nie so stark, dass sie ihn hinderte, sich in entscheidenden Situationen aus diesem Milieu zu lösen und eigenverantwortlich zu handeln.
Sie beschreiben Beck als einen kritischen Offizier, der seinen Vorgesetzten ohne Karriererücksichten widersprach. Trotzdem dauerte es bis 1938, bis er erkannte, dass Hitlers Politik in den Abgrund führen würde. Anfangs hat er sogar Hitlers Machtantritt begrüßt, wurde zum „Architekten der Aufrüstung“, wie Sie schreiben.
Beck hat schon 1930 den großen Wahlerfolg der Partei Hitlers und dann den Machtantritt 1933 begrüßt. Warum? Für seine Generation war der Erste Weltkrieg das entscheidende Erlebnis. Das Regime des Kaisers habe es nicht verstanden, die Nation in dem ersten totalen Krieg vollständig zu mobilisieren und unter dem Druck dieses Krieges zu vereinen. Aber Integration und Mobilisation waren die Voraussetzungen für das Ziel, das Beck anstrebte, nämlich die Wiederherstellung der deutschen Großmachtstellung in Europa.
Diese Wiederherstellung der deutschen Großmachtstellung versprach er sich von Hitler?
Er erhoffte anfangs von Hitler und dessen „Bewegung“ die nationale Integration als Voraussetzung für die totale Mobilisation der Nation. So wäre das Reich für einen künftigen gesamtgesellschaftlichen Krieg gewappnet, wäre in der Lage, die „Fesseln von Versailles“ abzuschütteln.
Hat Beck also einen Krieg befürwortet?
Krieg war für ihn anfangs nur ein Mittel in einer möglichen, auf Mitteleuropa begrenzten Auseinandersetzung. Seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg hatten ihn gelehrt, dass Deutschland einen solchen Weltkrieg nie gewinnen könne. Später im Widerstand hat er einen totalen Krieg als Zerstörer jeglicher Kultur völlig abgelehnt.
Beck glaubte 1933 an die von Blomberg und Hitler propagierte Zwei-Säulen-Theorie?
Ja, auf den beiden Säulen Partei und Wehrmacht sollte der neue Staat ruhen. Die Partei sollte die Integration der Nation gewährleisten und das Militär die nationale Mobilisierung sichern. Aber bis 1938 erfolgte ein immer stärker werdender Prozess der Desillusionierung. Aus Becks Sicht verfälschten vermeintlich „radikale Elemente“ der NS-Partei die von ihm erwartete große nationale Integrationsbewegung. Schließlich erkannte er, dass Hitler selbst die Quelle des Bösen war.
Warum hat er sich nicht schon 1933, wie beispielsweise der mit ihm eng verbundene General Kurt von Hammerstein, von Hitler abgewandt?
Hammerstein hatte zwar von den Nazis nichts gehalten, doch unterstützte er nach eigenen Angaben das Vorhaben, Hitler zum Reichskanzler zu machen, um eine neue, einen Bürgerkrieg riskierende Regierung des Franz von Papen zu verhindern. Dabei sollte jedoch General von Schleicher Reichswehrminister werden und dem Reichskanzler Hitler als starker Gegenpart an die Seite treten. Doch das scheiterte. Aber als Beck noch idealistisch an die Zwei-Säulen-Theorie glaubte, war Hammerstein schon längst desillusioniert.
Hammerstein, im Gegensatz zu Beck, lehnte einen Putsch gegen Hitler ab.
Ja, er war im Krieg der Meinung, dass das deutsche Volk den Kelch bis zum bitteren Ende leeren müsse, sonst gäbe es wie nach dem Ersten Weltkrieg eine Dolchstoßlegende neuer Art. Beck dagegen wollte der Vernichtung der Nation und den Verbrechen des Regimes Einhalt gebieten.
Was führte bei Ludwig Beck letztendlich zu dem Entschluss, aktiv Widerstand zu leisten, ein Attentat auf Hitler zu planen?
Dieser Entschluss hat sich entwickelt. Es gab bei Beck kein Damaskuserlebnis. Das begann 1938 mit seiner Entscheidung, lieber zurückzutreten als diese Kriegspolitik weiter aktiv mit zu betreiben. Krieg bedeutete für ihn das Ende Deutschlands. Kriegsverhinderung, dann dessen Beendigung wurde zu seinem Ziel. Hinzu kam: Die Pogrome vom November 1938 schockierten ihn. Tief empörten ihn dann das Morden in Polen, die Ausrottung von polnischen Eliten und Juden. Er versuchte lange vergeblich, auf die höheren Militärs einzuwirken. Mitstreiter fand er am Ende eher bei jüngeren Generälen und Generalstabsoffizieren.
Viel erfährt man in Ihrem Buch über den Offizier Ludwig Beck. Doch wie war der Mensch Ludwig Beck?
Das ist eine schwierige Frage. Beck hat sich über sich selbst nicht geäußert. Nur wenige private Briefe sind überliefert. Es gibt kein Tagebuch, das uns Einblick in das Innenleben des Menschen Beck bietet. Nach knapp über einem Jahr Ehe starb seine Frau, er blieb allein zurück mit seiner kleinen Tochter. Fortan hat er, der zuvor ein begeisterter Violinenspieler war, der als junger Leutnant mit anderen Offizieren sogar ein Trio begründet hatte, die Violine nie wieder angefasst. Das war im Jahr 1917. Im selben Jahr starben auch sein älterer Bruder und sein Vater. Diese Schicksalsschläge haben ihn sehr hart getroffen. Hinfort lebte er nur für seine Arbeit und schließlich für seine historische Mission.
Das Gespräch führte Dirk Becker
„Generaloberst Ludwig Beck. Eine Biographie“ wird heute, um 16 Uhr, im Beisein des Autors im Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Zeppelinstraße 127/128 vorgestellt.
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