
© Mike Wolff
Von Antje Horn-Conrad: Angst vor der Abiprüfung?
Psychologieprofessor Günter Esser empfiehlt eine gute Vorbereitung und Entspannungstechniken
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Es kribbelt in den Fingerkuppen, flau wird einem im Magen, die Hände schwitzen, das Herz klopft bis in den Hals. Wäre man doch jetzt an einem anderen Ort oder einfach ein paar Tage voraus – in der Zukunft. Doch es gibt kein entrinnen. Gleich öffnet sich die Tür. Selten hat man sich vor dem eigenen Namen so sehr gefürchtet wie in dem Moment, da man zur Prüfung gerufen wird. Woher kommt bloß diese Angst, die selbst Jahre nach dem Schulabschluss noch im Traum aus dem Unterbewusstsein kriecht und einen des Nachts in Panik versetzt?
„Angst hat in den meisten Fällen derjenige, der schlecht vorbereitet ist“, sagt Professor Günter Esser von der Universität Potsdam. „Die meisten Prüflinge, die vorgeben unter Prüfungsangst zu leiden, beherrschen schlichtweg den Stoff nicht“, so der Psychologe. Er empfiehlt deshalb den Schülern, die derzeit ihre mündlichen Abiprüfungen ablegen, sich gründlich vorzubereiten, um auch auf überraschende Fragen reagieren zu können. Das setze natürlich voraus, rechtzeitig mit dem Lernen zu beginnen. „Manche Schüler schieben die Arbeit zu lange vor sich her.“ Mit jedem Tag aber, der unverrichteter Dinge verstreicht, wachse die Angst. Essers Tipp: Den Prüfungsstoff gut aufteilen und in Intervallen lernen. Nach einer zwanzigminütigen Anstrengung soll eine Pause von fünf bis zehn Minuten eingelegt werden, in der sich das Gelernte setzen und festigen kann. Dann folgt der nächste Intervall. „Was man zu einem Thema weiß, sollte man schriftlich auf einem DIN-A3-Blatt unterbringen können“, gibt Esser eine Empfehlung weiter, die seinen Studenten an der Universität helfe, ihr Wissen vor Prüfungen besser zu strukturieren.
Ist man gut präpariert, sagen die Fachleute, sind gewisse Prüfungsängste völlig normal. Ein wenig Aufregung gehört dazu, um sich in Hochform zu bringen und die Gedanken punktgenau konzentrieren zu können. Wenn die Ängste jedoch Überhand nehmen, können sie den Gedankenfluss blockieren. Dann geht nichts mehr. Alles, was mit Mühe tagelang eingepaukt wurde, scheint in einem tiefen schwarzen Loch zu verschwinden. Es droht der Blackout.
Die Ursachen hierfür liegen in negativen Prüfungserfahrungen, einem geringen Selbstvertrauen oder auch in zu hohen Ansprüchen an die eigene Person. „Viele Abiturienten machen sich selbst verrückt“, sagt Günter Esser. „Sie glauben, sich alle Chancen zu verbauen, wenn eine Prüfung nicht so läuft, wie sie sich das vorgestellt haben. Mitunter entwickeln sie dann schon im Vorhinein regelrechte Katastrophenszenarien“, erklärt der Professor, der an der Uni den Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie inne hat.
Wichtig sei, den Schülern solche übertriebenen Befürchtungen zu nehmen. „Eine Prüfung ist nicht alles im Leben.“ Um die Angst zu mildern, könne es hilfreich sein, sich vorzustellen, was denn im schlimmsten Fall tatsächlich passieren würde, so Esser. Oft relativiere sich dann die vermeintliche Katastrophe. Und eine Prüfung lasse sich schließlich auch wiederholen.
Wer von sich selbst weiß, dass er vegetativ leicht erregbar, also schreckhaft und generell sehr ängstlich ist, der sollte nach Meinung des Experten Entspannungstechniken anwenden. Autogenes Training helfe ebenso gut wie zum Beispiel die progressive Muskelrelaxation. Damit lasse sich der Prüfungsstress schnell auf ein verträgliches Maß herunterfahren. Tiefes Durchatmen und gutes Zureden dient in jedem Fall der Beruhigung. Wer sich trotz allem nicht in den Griff bekommt, sollte eine psychologische Beratungsstelle aufsuchen oder einen Arzt konsultieren.
Letztlich aber weiß jeder Prüfer, dass die Kandidaten nervös und aufgeregt sind. Niemand muss hier seine Coolness beweisen. Wichtig ist hingegen die Gewissheit, kein Versager zu sein, wenn es in einer Prüfung nicht ganz so geklappt hat. Auf dem langen Weg zum Abitur hat jeder der Schüler immerhin schon eine Vielzahl von Herausforderungen gemeistert. Das sollte doch genügend Selbstvertrauen geben.
Antje Horn-Conrad
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