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Erstmals erforscht: Leibniz Stellung zum Judentum

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Erstmals erforscht: Leibniz Stellung zum Judentum Von Dagmar Schnürer Die Frage nach der Stellung Gottfried Wilhelm Leibniz zum Judentum sei so weit hergeholt, wie etwa die Frage nach der Stellung des Elefanten zum Judentum. Mit dieser auflockernden Bemerkung begann Daniel J. Cook (New York), seinen Vortrag zur Eröffnung der dreitägigen internationalen Arbeitstagung zu „Leibniz Stellung zum Judentum“, die heute am Neuen Markt zu Ende geht. In Zusammenarbeit mit der israelischen Leibniz-Gesellschaft wurde diese Tagung von der Leibniz-Edition Potsdam der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und dem Moses Mendelssohn Zentrum der Universität Potsdam (MMZ) organisiert. Wissenschaftler aus Europa, Israel, China und den USA waren angereist. Da dieses Thema so noch nie ausdrücklich Gegenstand der Forschung war, bedeutete die Tagung einen Vorstoß in neues Terrain. Die Ergebnisse sollen 2005 innerhalb der Reihe Studia Leibnitiana veröffentlicht werden. In relativ intimem Rahmen, der hauptsächlich aus den Referenten und Referentinnen bestand, war die Diskussion im Anschluss an die einzelnen Beiträge rege und fruchtbar. Leibniz (1646-1716) gilt als einer der letzten Universalgelehrten der Neuzeit. Er war Philosoph, Mathematiker, Jurist, Historiker, Sprachwissenschaftler, Politiker. Bis heute ist lediglich die Hälfte des Leibniz-Nachlasses editiert. Warum gerade das Verhältnis des Protestanten Leibniz zum Judentum spannend sei, erklärte Christoph Schulte (MMZ) mit dessen Zeugenschaft einer Wendezeit im Judentum. Jüdische Gelehrte suchten den Kontakt zu Christen und mit dem Beginn der Emanzipation des Judentums ging der Verlust des Wissens über das Judentum bei christlichen Gelehrten einher. Leibniz war einer der letzten, für den es noch selbstverständlich war, das Judentum zu studieren. Außerdem wäre zu fragen, so Schulte, ob und in welcher Form es bei ihm eine Differenz zwischen der Wertschätzung des Judentums und dem Umgang mit jüdischen Personen gegeben habe. Mit welchen jüdischen Quellen hat sich Leibniz beschäftigt, wie hat er sie beurteilt, in Briefen und Anmerkungen, und hatten sie Auswirkungen auf sein Denken? Solche Fragen könnten zur Auskunft über das Verhältnis zwischen christlichem und jüdischem Denken an der Schwelle zur Aufklärung führen und über das gesellschaftliche Verhältnis zwischen gelehrten Juden und Nichtjuden. Nicht zuletzt sei im Hinblick auf die damaligen antisemitischen Zustände bemerkenswert, so Schulte, dass von Leibniz bisher keine antisemitische Äußerung bekannt sei. Die Tagung bewegte sich in einem Feld der Spekulationen, viele Fragen ließen sich wegen fehlender Quellen nicht eindeutig klären. Doch es gab vorläufige Ergebnisse. Zu Leibniz Stellung zu jüdischen Menschen ist der Umstand aufschlussreich, dass er einen jüdischen Schüler (Raphael Levi) hatte, den er sechs Jahre lang kostenlos unterrichtete und sogar in sein Haus aufnahm. Ein unmissverständliches, soziales, politisches und religiöses Statement, meinte Christoph Schulte. Der Philosophieprofessor Marcelo Dascal aus Tel Aviv zeigte Ähnlichkeiten zwischen der Dialektik des Talmud und derjenigen von Leibniz. Der Talmud sei bemüht, die Koexistenz unterschiedlicher Überzeugungen zu ermöglichen (Gott selbst ist kontrovers) und so eine Spaltung innerhalb der jüdischen Religion zu verhindern. Genauso sei es Leibniz Anliegen gewesen, Protestantismus und Katholizismus als auch die unterschiedlichen Weltreligionen einander anzunähern, die Brüche quasi rückgängig zu machen. Leibniz wollte die Religion mit der Vernunft durchdringen und wehrte sich gegen Dogmen, da die Bedeutung eines Satzes je nach Kontext variieren könne. Die gut besuchte Podiumsdiskussion zu „Philosemitismus- Antisemitismus - Aufklärung“ sollte das Thema bis hin zur aktuellen Problematik öffnen. Angesichts Leibniz Auseinandersetzung mit Judentum, Islam und China bietet sich das an. Obwohl leider flapsig und mit Unfähigkeit zum Gespräch von Franziska Augstein (Süddeutsche Zeitung) moderiert, kam es zwischen Wolfgang Ullmann (Kirchenhistoriker, Politiker, Mitherausgeber des „Freitag“) und Friedrich Niewöhner (Wolfenbüttel/Berlin), zwischen Julius Schoeps (MMZ), Günter Lottes (Forschungszentrum Europäische Aufklärung, Potsdam) und Mordechai Lewy (Berlin) zur spannenden Diskussion. Ist die Aufklärung gescheitert, weil es nach wie vor Philo- und Antisemitismus gibt? Sind Philo- und Antisemitismus Gegensätze oder zwei Seiten einer Medaille? Denn „Philosemitismus“ ist ein ursprünglich antisemitischer Begriff. Ist die Aufklärung in den USA gelungen, weil dort verschiedene Religionen koexistieren, aber aus dem öffentlichen Raum strikt herausgehalten werden? Als aus dem Publikum die Frage nach der aktuellen Situation kam, war leider keine Zeit mehr.

Dagmar Schnürer

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