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DASwar’s: Anruf bei Tag und Nacht

Neulich bin ich durch die Stadt gerannt. Ich hatte es eilig.

Stand:

Neulich bin ich durch die Stadt gerannt. Ich hatte es eilig. Zuvor hatte ich mehrere Tage hintereinander versucht, bei einer Behörde im Rathaus anzurufen. Ohne Erfolg.

Dabei sah ich die Chancen gar nicht so schlecht, immerhin hatte ich vier Telefonnummern. Ich hatte sie alle durch – alle vier, immer wieder. Früh, mittags, nachmittags, abends. Zu den angegebenen Sprechzeiten und außerhalb. Einmal bin ich nachts aufgewacht und dachte, ich versuch es einfach mal. Die Vorstellung, dass zu nächtlicher Stunde jemand in einer Amtsstube sitzt und einsam vor seinem Telefon wacht, war selbstverständlich absurd. Aber was macht man nicht alles in schlafloser Nacht. Manche gehen zum Kühlschrank, andere ins Internet. Ich griff zum Telefon. Es ging keiner ran.

Die 20,30, 40 Sekunden Klingeldauer bei einem Telefonanruf werden gefüllt von den verschiedensten Vorstellungen. Ich rufe ja ständig irgendwelche Leute an. Ist ja schließlich auch mein Job, um Dinge herauszukriegen. Bei einer Telefonrecherche ist es wie beim Sport – sie ist abhängig von der Tagesform. Bei einem guten Start kann ein Gespräch zum Selbstläufer werden. An miesen Tagen kann eine schlecht vorbereitete Eingangsfrage die ganze Recherche ruinieren. Man rennt quasi nur noch hinterher, wenn der Telefongesprächspartner meint, er verstehe die Frage nicht.

Bei meinem geplanten Amts-Telefonat hatte ich genügend Zeit, mir ganz präzise den Gesprächsauftakt zu überlegen. Im Laufe der Zeit wurde er immer ausgefeilter. Hätte man mich im Schlaf geweckt, hätte ich sofort im exakten Behördendeutsch erklären können, worum es geht. Am dritten Tag allerdings gab ich es auf. Es war kurz vor zwölf, ein paar Minuten vor Ende der Bürosprechzeit, als ich mich zu einem Vorort-Termin entschloss. Ich rannte los. Zu meiner Überraschung war es in der Amtsstube völlig leer. Zwei Mitarbeiter saßen an einem Schreibtisch. Keiner telefonierte. Ich trug mein Anliegen vor und wurde zu einem dritten Mitarbeiter geschickt. Der war sehr nett, was ich schnell herausfand, weil auch er nicht telefonierte. Auf meine Frage, warum denn niemand ans Telefon ginge, hieß es: „Dann wird wohl immer besetzt sein.“ Ich war nicht sonderlich erstaunt, dass ich für die Erledigung meiner Sache einen Termin vereinbaren musste. Den nächst verfügbaren gab es in drei Wochen. Ich wollte wissen, was zu tun ist, wenn ich den Termin absagen muss. Man sagte mir, dass ich kurz anrufen soll.

Auf dem Rückweg lief ich eilig an einer Touristengruppe vorbei, die ein Stadtführer vor dem Nauener Tor platziert hatte. Im Vorbeigehen hörte ich, wie er erklärte: „Potsdam has not really a reason to exist.“ – „Für Potsdams Existenz gibt es keinen wirklichen Grund.“ Ich hatte keine Zeit, mir die Begründung anzuhören. Aber irgendwie fühlte ich mich seit drei Tagen so – als nicht vorhanden.

Peter Könnicke ist freier Journalist und arbeitet als Lauf- und Fitnesstrainer.

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