Landeshauptstadt: Arbeit unterm „Vollmond“
Ist sich als Zeitungsbote nicht zu schade: der Schriftsteller Gerd Wolfgang Pachan
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Eiche - Um 3.15 Uhr huscht täglich am Baumhaselring 119 vor den Fenstern ein Schatten vorbei, um die Zeitung in den Briefkasten zu werfen. Nur Nachtaktive sehen den Mann, dessen Wecker ihn bereits um zwei Uhr früh aus dem Bett holt. Neu ist der Bote für das alte Dorf Eiche und die neue Siedlung Altes Rad. Neu, aber auch ungewöhnlich. Eigentlich versteht sich Gerd Wolfgang Pachan als Schriftsteller. Der ungewöhnliche Kriminalroman „Vollmond“, von einer Frankfurter Verlagsanstalt verlegt und auf der Buchmesse vorgestellt, verkauft sich keineswegs schlecht. Seine Erstlinge „Dr. Jan Lüders“, einen Tierarztroman, und „Olendiek“, eine Nachkriegsgeschichte, hat er im Selbstverlag herausgebracht, und für sein jüngstes literarisches Kind „Ich - arbeitslos“ hofft er auf Erfolg.
Arbeitslos, das ist der Anfang 50-Jährige, oder doch nicht? Die DDR-Zeit hätte Pachan vielleicht als „schreibenden Arbeiter“ eingeordnet. Die Kollegen nutzten das Talent des Maschinenschlossers und ließen ihn Briefe an Behörden wie das Finanzamt verfassen, der Meister zog ihn für Betriebsanleitungen heran. Immer wieder reichte der kreative Pachan auch Verbesserungsvorschläge ein. Fehlt nur der DDR-Aktivistentitel. Nein, den konnte er nicht bekommen, denn der Mann stammt aus dem Ruhrgebiet. Erst mit der Wiedervereinigung verschlug es Pachan nach Berlin und nach Potsdam, wo er Wohnung nahm. Er hätte es nicht für möglich gehalten, doch nach jahrzehntelanger anerkannter Arbeit setzte ihn seine Firma, die sich „verschlanken“ wollte, 2002 vor die Tür. Mit 47 Jahren zu alt? So muss es sein, denn das hartnäckige Bemühen um einen neuen Arbeitsplatz brachte nichts als demütigende Gespräche bei den Damen der Arbeitsagentur und Billigangebote weit unter seiner Qualifikation. Im Dialog mit einem fiktivem Ich schildert Pachan diese Erfahrungen in „Ich - arbeitslos“ auf eine schonungslose Weise, die dem Leser manchmal einen Schauer über den Rücken jagt.
Gerd Wolfgang Pachan war aber auf gar keinen Fall bereit, sich in ein Hartz-IV-Dasein zu fügen. Seine erste Ehefrau war gestorben, sein heranwachsender Sohn aus den Gröbsten heraus. Er beschloss, Schriftsteller zu werden, erfuhr schmerzliche Absagen der Verlage, manchmal auch Versprechungen, die unerfüllt blieben – dann aber doch die Veröffentlichung seiner Werke. Dafür musste er zuvor meist einen Kostenzuschuss leisten, und auch die unerfreulichen Verkaufstouren zu Buchhändlern sind nicht spaßig. Gut Geld verdienen lässt sich auf diese Weise kaum. Erstaunlich, so richtig ficht das den Autor nicht an. Er sieht die positiven Seiten, so wenn ihm die Damen in einem Seniorenstift nach seinen Lesungen zuklatschen. Dass er mit „Vollmond“ in die engere Auswahl für den Brandenburgischen Literaturpreis 2006 gekommen war, freute ihn natürlich besonders.
Nun sitzt G. W. Pachan, den Gegenwartsthemen faszinieren, an einem Buch über Gewalt in Familien. Auch für dessen Produktion wird er finanziell in Vorleistung gehen müssen. Abfindung und Ersparnisse aus besseren Zeiten sind aufgebraucht, doch da Pachan offenbar niemals aufgibt, will er sich das fehlende Geld durch das Zeitungstragen verdienen. Total durcheinander gekommen ist sein Arbeitsrhythmus. Wer um zwei Uhr aufsteht, kann nicht am Vormittag Texte verfassen und muss abends zeitiger ins Bett. „Macht nichts“, sagt Pachan. „Als ich noch bis in die Nacht am Computer saß, habe ich anschließend meine Romane manchmal bis zu Ende geträumt, mit hochdramatischen Szenen und ausgefeilten Formulierungen. Beim Aufstehen hatte ich dann alles vergessen.“ Außerdem treffe er unter den Mit-Zeitungsausträgern manche arg gebeutelten, interessanten Charaktere, deren Schicksal eine literarische Verarbeitung lohne.
Auch am heutigen Heiligabend wird W.G. Pachan zwischen halb drei und fünf Uhr wieder zu den Briefkästen huschen, um für die alltägliche, diesmal weihnachtliche, Zeitungslektüre in Eiche zu sorgen. Anschließend schmückt er zu Hause den Christbaum. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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