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Von Erhart Hohenstein: Arbeitslosigkeit als Strafe

Ab Februar ’90 gab es in Potsdam nach Jahrzehnten wieder ein Arbeitsamt

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Die Währungsunion stand für den 1. Juli 1990 noch bevor, die deutsche Wiedervereinigung erst zum 3. Oktober, da lernten Potsdamer bereits einen, in diesem Fall allerdings unwillkommenen, Vorboten der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse kennen: das Arbeitsamt. Mit dem beginnenden Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft verloren auch die ersten Potsdamer ihre Anstellung.

Die meisten betrachteten dies als ungerechtfertigte Bestrafung. „Meine Planstelle wurde gestrichen“, sagte einer Reporterin der BNN fassungslos der 51-jährige Produktionsdirektor der Babelsberger APAG (Aluminium Präzisionsguß AG). „Na klar, ich will wieder arbeiten, am liebsten in meinem alten Betrieb. Ich habe mir doch nichts zuschulden kommen lassen.“ Der Beitrag erschien am 10. März 1990.

Das Arbeitsamt war im Februar gegründet und dem Rat der Stadt unterstellt worden. In einigen Zimmern im Stadthaus berieten zunächst sechs Mitarbeiter(innen) die 283 Potsdamer, die sich in diesem ersten Monat arbeitslos gemeldet hatten. Spätestens, nachdem sie das dritte Mal stundenlang angestanden hatten, nannten sie die „Staatliche Unterstützung und betriebliche Ausgleichszahlung an Bürger während der Zeit der Arbeitsvermittlung“, wie das die noch amtierende DDR-Regierung umschrieb, schlicht „Stütze“. Seit 26. Februar gab es eine Arbeitslosenunterstützung, darunter für 61 Potsdamer als „betriebliche Ausgleichszahlung“. Jetzt, zum Zeitpunkt der BNN-Reportage, war die Zahl der je Woche hinzu kommenden Arbeitslosen auf mehr als 160 gestiegen, auf den Monat hochgerechnet etwa 650. Für ihre Beratung und Neuvermittlung wurden nun 18 Stadtangestellte eingesetzt. Wie die zuständige Stadträtin Carmen Bartling bedauerte, war unter den Arbeitsuchenden ein „sehr hoher Anteil an Hoch- und Fachschulkadern“. Daran hatten allerdings, was sie nicht sagte, wiederum einen hohen Anteil Führungskräfte des DDR-Systems - wie sie beispielsweise an der SED-Kaderschmiede Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften in Babelsberg lehrten. Von denen hatte kaum einer das Glück, in Arbeit zu bleiben oder sogar die Treppe nach oben zu fallen wie Horst Gramlich, der Potsdamer Oberbürgermeister wurde.

Angesichts des mit Antragstellern vollgestopften Stadthausflurs hoffte Bartling auf die schnelle Umsetzung des Regierungsbeschlusses, juristisch selbständige Arbeitsämter zu bilden. Dies geschah dann auch. Über mehrere Zwischenstationen zog die nunmehrige Agentur für Arbeit, deren Wirkungsbereich über die Landeshauptstadt hinausgeht, in einen Neubau am Horstweg. Allein für den Bereich Potsdam sind 688 Mitarbeiter für zurzeit 7210 Arbeitslose (Februar 2010) zuständig.

Vor 20 Jahren nannte Stadträtin Bartling vor allem die Arbeitslosigkeit unter Hoch- und Fachschulabsolventen, die „überwiegend unter ihrem Qualifikationsniveau“ neu vermittelt werden müssten, einen „großen volkswirtschaftlichen Verlust, den wir uns eigentlich nicht leisten können“. Deshalb forderte sie die damals noch bestehenden Großbetriebe wie Karl-Marx-Werk, Reichsbahnausbesserungswerk oder Bau- und Montagekombinat Ost auf, Angebote für Umschulungen, Aus- und Weiterbildung zu nennen.

Kurz nach dem Abdruck ihres Berichts über das Arbeitsamt wurde der BNN-Reporterin der bis 16 Uhr begrenzte Arbeitsvertrag gekündigt. Da sie wegen ihrer beiden kleinen Kinder nicht länger arbeiten konnte, willigte sie in einen Aufhebungsvertrag ein. Seitdem hat sie sich vergeblich um eine neue Festanstellung bemüht.

Erhart Hohenstein

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