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Landeshauptstadt: „Ärger wie zu Hause“

Nach der Schule ins Internat – Lara Junge und Cheyenne Ostermann sehen ihre Eltern nur am Wochenende

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Ein ganzes Zimmer in „Oma-Rosa“. Hinter den zwei Schränken, neben den zwei Schreibtischen und über den zwei Betten. „Das war die einzige Farbe, die noch da war“, sagt Lara entschuldigend und auch Cheyenne fällt sofort ins Wort: „In der Tube sah die Farbe dunkler aus“, erklärt die dunkelhaarige Neuntklässlerin. Eigentlich hätten sich die beiden doch einen Orange-Ton für ihr Internatszimmer ausgesucht. Es half nichts. Damit das „Oma-Rosa“ nicht so auffällt, haben sich die 14- und 15-Jährige mit ihren Medaillensammlungen und Filmpostern ausgeholfen: Nun blicken Trickfilmfiguren wie Eric Cartman oder Filmgrößen wie Nicolas Cage neben den glänzenden Edelmetallen von den Wänden in das rosa Zimmer der zwei Fußballerinnen.

Lara Junge und Cheyenne Ostermann sind zwei von knapp 600 Schülern der Potsdamer Elite-Sportschule „Friedrich Ludwig Jahn“. Wie ein Großteil ihrer Mitschüler machen sie sich nach Schulschluss nicht auf den Weg nach Hause, sondern ins benachbarte Internat. Der 14 Stockwerke hohe Plattenbau am Havelufer ist für sie zum zweiten Zuhause geworden – bis zum Abitur.

„Mein Papa kam auf die Idee, dass ich mich hier bewerben könnte“, sagt Lara. „Ich wollte unbedingt mehr Fußball spielen.“ Schon seit ihrem sechsten Lebensjahr kickt die zierliche Blondine regelmäßig gegen das runde Leder. Schon früh habe sie bei einem Berliner Verein angefangen. Irgendwann reichte das nicht mehr. Wie alle Bewerber der Sportschule mussten Lara und Cheyenne mehrere Probetrainings und Lehrgänge absolvieren. Beide haben es geschafft und sind nun im Frauenfußball durchaus erfolgreich.

Erst vor drei Wochen verteidigten die beiden Freundinnen im brasilianischen Fortaleza gemeinsam mit ihren Mannschaftskameradinnen den Schulweltmeisterschaftstitel. Stürmerin Lara schoss drei Tore, Cheyenne half im Mittelfeld aus. Für ihren Erfolg wurde die Mannschaft gestern am Luftschiffhafen von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) geehrt. Neben einem Handschlag vom Landesvater gab es eine rote Werbe-Stofftasche sowie einen roten Kuli samt Block.

Der Weg zum ganz großen sportlichen Erfolg ist für fast alle Schüler lang, weiß auch Internatschefin Barbara Kuhl. „Das ist wie bei einer Pyramide“: Unten sind viele, nur wenige schaffen es bis nach oben. Der Wille zum Erfolg ist groß, dafür bleibt im straffen Internatsalltag zwischen Training, Schule, Hausaufgaben, Wettkämpfen oder Liga-Spielen wenig Zeit für Privates und Familie: Um sieben Uhr klingelt für die meisten Schüler der Wecker. Vor der ersten Stunde geht es zum Training, erst danach beginnt der Unterricht. Am Nachmittag wird erneut trainiert. Nach 17 Uhr sind dann die Hausaufgaben dran. „Wir wollen, dass unsere Sportler intelligente Sportler sind“, sagt Kuhl. Um 21 Uhr beginnt die Nachtruhe für die Jüngsten, die Älteren müssen um 22.30 Uhr ins Bett. Wer fleißig war, darf eine halbe Stunde länger aufbleiben – aber nur einmal in der Woche.

„Bei uns gibt es den gleichen Ärger wie zu Hause“, sagt Kuhl. Lara und Cheyenne wohnen im Haus in einer Sechser-Wohneinheit. Hier gibt es drei Zimmer für je zwei Schülerinnen sowie zwei Toiletten und ein Bad mit zwei Waschbecken und einer Dusche. Morgens wird es eng. Die Wohneinheiten sind nach Geschlechtern getrennt, sogar die Etagen des Hauses. Auf jeder gibt es eine Küche und ein Fernsehraum. Eigene Fernseher sind im Zimmer nur für Schüler ab der zehnten Klasse erlaubt. Ziehen die Schüler in das Haus ein, dürfen sie ihr Zimmer in der Farbe ihrer Wahl streichen.

Einmal in der Woche wird groß Reine gemacht. Wer sich in einen Mitschüler verliebt, darf nicht beim anderen übernachten. „Das würden die Eltern zuhause auch nicht erlauben“, sagt Kuhl. Alkohol, Zigaretten und Drogen sind tabu. „Natürlich gibt es auch Heimweh“, sagt die Chefin. Eltern und Geschwister sehen die meisten Nachwuchssportler nur am Wochenende oder monatelang gar nicht. Besonders in den 7. Klassen müssten die 33 Erzieher dann die eine oder andere Träne trocknen. Aber nur in seltenen Fällen würden Kinder die Schule wechseln.

Lara und Cheyenne können sich noch gut an die harte Anfangszeit erinnern, auch ihrer Freundin Theresa geht es so. Anders als die beiden Berlinerinnen kommt Theresa Baum aus dem entfernten Thüringen. „Am Anfang war es sehr schwer“, sagt die 15-Jährige. Theresa ist fest mit Lara und Cheyenne befreundet – ohne die beiden geht es nicht, sagt sie. Oft bleibe am Wochenende nach den Pflichtspielen keine Zeit zur Heimreise. Dann besucht Theresa ihre Freundinnen. „Man gewöhnt sich dran.“

Noch ein paar Jahre, dann wollen die drei Mädchen am liebsten in der Frauen-Bundesliga kicken. „Vielleicht auch in der Nationalmannschaft“, sagt Theresa und Lara und Cheyenne nicken. Ihre Vorbilder haben die Mädchen allerdings im Männerfußball: Laura steht auf den Portugiesen Christiano Ronaldo und Cheyenne findet Nationalmannschaftsspieler Mezut Özil ganz gut. Poster von den beiden haben die zwei Mädchen noch nicht in ihrem Zimmer aufgehangen. Das komme vielleicht noch, sagen sie, denn irgendwie muss das „Oma Rosa“ ja weiter verdeckt werden.

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