Landeshauptstadt: Argumentationshilfe für Kirchenfreunde
Philipp Maaß schrieb über den Wiederaufbau historischer Städte – und kritisiert die Architektenzunft
Stand:
Innenstadt – Aus heutiger Sicht sind manche Entscheidungen von Stadtentwicklern und Architekten nur schwer nachvollziehbar. Die Grundlagen, auf denen ganze Stadtteile ab den 1960er-Jahren als Plattenbauten hochgezogen oder historische Stadtkerne planiert und dann neu und modern errichtet wurden, erschließen sich einem nicht sofort.
Beispiele dafür sind vor allem in Potsdam, Dresden und Frankfurt am Main zu finden, in allen drei Städten gibt es bis heute lebhafte Debatten über eine mögliche Rekonstruktion alter Gebäude. Philipp Maaß hat dazu die Dissertation „Die moderne Rekonstruktion – Eine Emanzipation der Bürgerschaft in Architektur und Städtebau“ geschrieben, die jetzt als Buch erschienen ist. Rund 600 Seiten ist sie stark, Hunderte Bilder und Illustrationen sind darin zu finden. Und viele Zitate der Protagonisten, Entscheider und Architekten. Am Mittwoch stellte er sein Buch in der Nagelkreuz-Kapelle vor.
Rund ein Duzend Interessierte nahmen sich am gestrigen Vormittag Zeit, um sich mit den Forschungsergebnissen von Maaß auseinanderzusetzen. Eingeladen dazu hatten unter anderem das Bündnis Potsdamer Mitte, der Verein Mitteschön sowie der Synagogen-Förderverein Potsdam und der Förderverein für den Wiederaufbau der Garnisonkirche.
Maaß kritisierte, dass Pilaster, Giebel und selbst schlichte Gesimse in der modernen Architektur nichts mehr zu suchen hätten. Stattdessen würden Fassaden gerade von oben nach unten hochgezogen, und „oben drauf kommt ein Flachdach“. Dies sei seit fast einem Jahrhundert vorherrschende Lehrmeinung in Deutschland. Damit stehe dieser absolute Anspruch im offenen Widerspruch zur Anziehungskraft historischer Stadträume. „Das ist ignorant und ideologisch, totalitär und undemokratisch“, sagte der in Cuxhaven geborene 34-jährige Maaß.
Wie in vielen Städten sei die funktionale Architektur die Folge eines unter Architekten falsch verstandenen einseitigen Modernisierungsverständnisses im Städtebau, welche das Bauerbe ausschließe. Er nannte hier als Beispiele die Sprengung der Garnisonkirche 1968 und den Bau des Rechenzentrums direkt neben der Baulücke. Oder aber das Landtagsschloss und das Gebäude der Fachhochschule (FH) am Alten Markt, aber auch die Diskussionen um das direkte Umfeld der Semperoper in Dresden oder den Alten Römer in Frankfurt.
Dabei habe gerade der radikale Ausschluss der Tradition den Wunsch nach Rekonstruktion etwa der Garnisonkirche erst aufkommen lassen. Maaß riet dazu, sich die Argumente gut zu überlegen, um solche Entwicklungen künftig zu vermeiden. „Das Rechenzentrum muss nicht abgerissen werden, weil es ein DDR-Bau oder hässlich ist. Das wäre falsch“, sagte er. „Es geht auch nicht um die FH-Architektur.“ Zur damaligen Zeit sei der FH-Bau durchaus gut gewesen. Beide müssten weg, da es gut sei für die Stadtstruktur, für das Funktionieren der Stadt. Ziel müsse es sein, nachhaltige Stadtstrukturen zu bauen.
In der Diskussion ging es nicht nur um den Erhalt historischer Stadtkerne, sondern auch ganz allgemein um Stadtentwicklung. Die Stadtverwaltung dürfe angesichts der seit Jahren anhaltenden Zuwanderung nach Potsdam nicht den Fehler wiederholen und nun billige und enge einheitliche Stadtviertel in der Landeshauptstadt hochziehen. Dies führe zu den sozialen Brennpunkten von morgen. Die Städte aus der Gründerzeit seien kleinteilig angelegt gewesen, es gebe viele Eigentümer und nicht nur einen Trust, einen Immobilienfonds. „Das ist sozial und nachhaltig“, sagte Maaß. Er räumte ein, dass kleinteiliges Bauen einen erheblichen Mehraufwand und Kosten verursache.
Wie etwa in der historischen Mitte, wo die Alte Feuerwache wie berichtet privat finanzierten Wohnungen weichen soll. Falls man sich an den historischen Grundrissen orientiere, müssten zehn oder mehr Bauanträge gestellt werden und nicht nur einer für eine komplette Häuserzeile, sagte Maaß.
Stefan Engelbrecht
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: