Aus dem GERICHTSSAAL: Arztbesuch mit Folgen
Gericht sah Schuld des Mediziners als gering an
Stand:
„Ich habe die Patientin sofort zum Chirurgen überwiesen, ihr sogar Adressen in der Nähe genannt“, beteuerte Kurt K.* (70), Allgemeinmediziner im Ruhestand, am Mittwoch vor Gericht. „Ihr Analabszess hätte geöffnet werden müssen. Vielleicht hatte sie Angst vor dem Schneiden?“, mutmaßte der wegen fahrlässiger Körperverletzung Angeklagte. Von einer Überweisung könne keine Rede sein, konterte Gisela G.* (61), die im Prozess als Nebenklägerin auftrat. Der Arzt, den sie am 4. April 2008 wegen einer eitrigen Wunde am Gesäß aufsuchte, habe ihr Penicillin, Salbe und Sitzbäder mit Kaliumpermanganat verschrieben. Doch die Beschwerden hätten sich dramatisch verschlimmert, erzählte die Sekretärin. Der Notarzt, den sie vier Tage später rief, habe sie ins Krankenhaus eingewiesen, wo sie umgehend operiert wurde. Ein künstlicher Darmausgang musste gelegt, abgestorbenes Gewebe entfernt, Haut transplantiert werden.
Trotz des offensichtlichen Martyriums, dass die Potsdamerin durchlebte, sah das Gericht die Schuld des Angeklagten als gering an. Da dem Arzt keine Verletzung seiner Sorgfaltspflicht nachzuweisen sei, stellte es das Verfahren mit Zustimmung aller Prozessbeteiligten ein.
Arzt und Patientin hatten eine völlig verschiedene Erinnerung an jenen verhängnisvollen Tag. Kurt K. erzählte: „Die Patientin sagte, ich habe da ein Furunkel am Hintern. Ich erklärte ihr nach der Untersuchung, das sei ein Analabszess. Diese Diagnose habe ich auch in der Krankenakte dokumentiert.“ Das bestätigte der Sachbearbeiter der Techniker Krankenkasse. Die schriftliche Überweisung zum Chirurgen konnte er allerdings nicht belegen. Rechtsmedizinerin Barbara Mattig berichtete, sie habe in den handschriftlichen Unterlagen des Angeklagten einen Hinweis darauf gefunden, dass die Patientin einen Chirurgen konsultieren sollte.
Noch heute kann Gisela G. nicht lange sitzen. Den Zeugenstuhl polsterte sie mit einem Spezialkissen. Doch schon nach kurzer Zeit redete sie im Stehen weiter. „Er hat mir nur hinten den Hosenbund weggezogen und gesagt, da ist ein schwarzer Fleck. Das sind abgestorbene Blutzellen.“ Eine Überweisung zum Chirurgen habe sie nicht bekommen, nur zwei Rezepte und die Aufforderung, sich in den nächsten Tagen wieder in der Praxis vorzustellen. „Ich habe ihm vertraut. Aber dann lag ich über zehn Wochen im Krankenhaus und war ein Jahr lang krankgeschrieben. Meine sechste Operation war die Entfernung des künstlichen Darmausgangs“, so die Zeugin. Da sie sich in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkt fühle, habe sie Strafanzeige gegen den Allgemeinmediziner erstattet. Der Zivilprozess um Schmerzensgeld steht noch bevor. (*Namen geändert.) Hoga
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