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Homepage: Atmosphäre der Offenheit

Das Potsdamer Abraham-Geiger-Kolleg ist die einzige deutsche Ausbildungsstätte für Rabbiner

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Fragen zu beantworten gehört zu seiner Mission. „Wenn du dich als werdender Rabbi vorstellst, gucken viele erstaunt. Du fühlst dich wie in einem Museum und beginnst zu erklären“, sagt Juri Kadnikow. Der 32 Jahre alte Ukrainer studiert seit 2003 an Deutschlands einziger Ausbildungsstätte für Rabbiner, dem Abraham-Geiger-Kolleg der Universität Potsdam. Später wird es seine Aufgabe sein, in einer jüdischen Gemeinde Entscheidungen in religiösen Fragen zu fällen und Seelsorge zu betreiben.

Sein ganzes Leben lang werden ihn die Fragen begleiten. Nur das mit dem Museum ärgert ihn. „In Deutschland hat man sich viel Mühe gegeben, über die jüdische Geschichte zu sprechen. Aber über die lebenden Juden redet man kaum“, erklärt Kadnikow ruhig. Manchmal fühle er sich wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Der großgewachsene hagere Mann lächelt ironisch. Eigentlich soll er die Zukunft sein und nicht die Vergangenheit repräsentieren.

Zusammen mit acht Kommilitonen büffelt Kadnikow am Kolleg die Thora, die heilige Schrift des Judentums. Er beschäftigt sich mit der Entstehung von Rechtsvorstellungen und Rechtsvorschriften in der hebräischen Bibel, der Entwicklung von jüdischen Festen oder der Frage, wie der Mensch mit seiner Sexualität umgehen soll. Vor Potsdam lebte er in Moskau und studierte zwei Jahre am Institute of Progressive Judaism. Mit dem Abschluss hätte er Gemeindearbeiter oder Jugendleiter werden können. Doch das war ihm nicht genug.

„Es gibt einen riesigen Bedarf an Rabbinern weltweit, um der jüdischen Tradition eine Stimme zu geben“, erklärt der Rektor des Kollegs, Rabbiner Walter Homolka. Er hat das Kolleg, das 2001 eröffnet wurde, ins Leben gerufen. Ein Rabbiner-Studium war vorher nur in den USA, Israel, Großbritannien oder Ungarn möglich und kostet dort rund 150 000 Dollar. Für die Potsdamer Studenten ist es kostenlos. Sie bekommen sogar ein Stipendium. „Für Kellnern oder andere Nebenjobs bleibt keine Zeit“, sagt Homolka, der Honorarprofessor an der Potsdamer Uni ist.

Die Mehrheit der 110 jüdischen Gemeinden in Deutschland muss bis heute allerdings ohne einen Geistlichen auskommen: Es gibt rund 150 000 Juden, aber nur 25 Rabbiner im Land. Die meisten Gläubigen stammen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. In Brandenburg haben sich die etwa 2000 Juden in acht Gemeinden zusammengefunden, der einzige Rabbi wohnt in Potsdam und ist orthodox.

Am Abraham-Geiger-Kolleg werden liberale Geistliche erzogen. In der Orthodoxie sei fast alles festgelegt, sagt Kadnikow. „Am Kolleg ist Neugierde wichtig. Es gibt eine Atmosphäre der Offenheit und wir hinterfragen unseren Glauben. Das ist es, was ich später weitergeben möchte“. Rabbiner sind keine Priester, die etwa die Beichte abnehmen, wie der gelernte Radioelektroniker erklärt. Den Segen kann jeder Gläubige sprechen, ein Rabbiner wirkt dagegen als Lehrer und Rechtsgelehrter. Er leitet die Gemeinde in ihrem Studium an und hilft, religiöse Rechtsfragen zu entscheiden.

Spätestens 2010 will Kadnikow seinen Abschluss machen. Wohin es ihn danach verschlägt, weiß er noch nicht. „Solange nicht an Fragen gespart wird, mache ich mir keine Sorgen um unsere Zukunft“, sagt er. Gregor Klaudius

Gregor Klaudius

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