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Landeshauptstadt: Auf Augenhöhe

Unterschiede deutlich machen: Potsdam trifft morgen im Wettbewerb um die „Stadt der Wissenschaft 2008“ in Braunschweig den ebenbürtigen Gegner Jena

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Die Potsdamer sind als Zweite dran. Was ein gewisser Vorteil sein könnte. Wenn morgen Vormittag im Braunschweiger Altstadtrathaus Potsdam und Jena der Jury des Stifterverbands für Deutsche Wissenschaft ihre Konzepte im Wettbewerb um die „Stadt der Wissenschaft 2008“ öffentlich präsentieren, kann Potsdam noch reagieren, kann auf Argumente des Mitbewerbers aufsatteln und Alleinstellungsmerkmale herausstellen.

Als Potsdam vor drei Jahren für den Titel Wissenschaftsstadt 2006 erstmals ins Rennen gegangen war, gab es sechs zum Teil hochkarätige Kontrahenten. Für den Titel 2008 ist es nur ein Gegner, der bei genauerem Hinschauen ziemlich auf Augenhöhe liegt: eine ähnliche Anzahl von Studienplätzen (rund 21 000), von Forschungsinstituten (etwa 30), hinzu kommen Gründerzentren, Schülerlabore und jeweils ein „Wissenspeicher“ – das alles klingt ziemlich ähnlich. Eben zwei ostdeutsche Städte, die rund um eine Universität in der Nachwendezeit ein munteres Forschungs- und Hochschulnetz aufgebaut haben.

Morgen wird es in Braunschweig darum gehen, die Unterschiede deutlich zu machen. Und die werden eher im Detail als in der Draufsicht sichtbar. Für Norbert Altenhöner von der Agentur Themata, die das Potsdamer Konzept zusammen mit dem Verein proWissen und der Stadtverwaltung erarbeitet hat, liegen die Unterschiede beispielsweise in den Formaten. Potsdam habe im Veranstaltungskanon für das Themenjahr mehr außergewöhnliche Formate zu bieten als Jena. Eben nicht nur Workshops und Tagungen, sondern auch Projekte mit Akteuren der Stadt, einen Stadtfilmmacher und Ideen, die langfristig in die Stadtentwicklung einfließen sollen.

Hinzu kommen viele bewegte Formate, durch die die Wissenschaft zu den Bürgen in die Stadtteile gebracht werden soll. Hier macht Potsdam aus der Not eine Tugend: Man will und muss die Projekte zu den Bürgern hinbringen, weil die Wissenschaft in Potsdam meist dezentral an den Stadträndern angesiedelt ist. Während Jena sich in Anspielung auf seinen gleichnamigen ICE-Bahnhof als „Paradies“ bezeichnet, weil in der Universitätsstadt alles fußläufig beieinander liegt, zeigt sich Potsdam mobil: das Exploratorium – ein großes Plus von Potsdam – wird mit Experimentierkursen für Kinder in die Stadtteile gehen, das Institut für E-Government plant eine Roadshow (siehe Beitrag links außen) und der Stadtjugendring will mit einem LKW die Kieze erobern. Mobilität wird hier durchaus zu einem stadtplanerischen Element, das auch auf die Zeit nach einem eventuellen Erfolg im Wettbewerb hinausweist. Jena hingegen braucht sich hier nicht viel zu bewegen, man betrachtet sich – mit Verweis auf 450 Jahre Hochschulgeschichte – bereits als integrierten Standort.

Ähnlich mobil will Potsdam auch in der Zielgebung sein. Man gebe sich große Mühe auf alle Zielgruppen einzugehen, betont das Organisations-Team. Von den so genannten bildungsfernen Schichten bis zum Spitzenforscher will man alle begeistern. „Das findet sich in Jena so nicht“, stellt Altenhöner fest. Wie auch die verschiedenen Wissenschafts-Preise, mit denen Potsdam seine Forscher und den Nachwuchs prämieren will. Talente lautet dann auch eine der drei gedanklichen Säulen der Potsdamer Bewerbung. Hinzu kommen Technik und Toleranz: Einerseits will man sich für eine stärkere, reflektierte Akzeptanz von Technik und Innovation einsetzen, andererseits ist eine Neufassung des Potsdamer Toleranzedikts geplant. Zusammen mit Vertretern der Zivilgesellschaft soll ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit gesetzt werden. Wurzeln dieses Gedankens gehen auf die Traditionslinien des besonderen Potsdamer Dialogs zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, zwischen Geist und Macht zurück. Schließlich war Potsdam auch ein wichtiger Ort der Aufklärung.

Andere Traditionslinien ergeben sich von selbst, etwa wenn man sich auf dem Telegrafenberg umschaut, wo schon vor über 100 Jahren Wissenschaftsgeschichte geschrieben wurde, wo Einstein Daten für seine Erkenntnisse sammelte. Auch Jena setzt auf Tradition, was dort in erster Linie und immer wieder mit dem Namen Carl Zeiss verbunden ist, dem Optik-Unternehmer, der Jena als „Stadt des Lichts“ bekannt machte.

Jena braucht sich nicht zu verstecken. Was hier seit der Wende entstanden ist, ist mindestens so interessant wie die Entwicklung, die Potsdam genommen hat. Das Potenzial in Potsdam ist enorm: Sei es das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das auf dem Gebiet weltweit führend ist, oder das nationale Geoforschungsinstitut GFZ, das

im Auftrag der Bundesregierung federführend das Tsunami-Frühwarnsystem für Südostasien entwickelt. Auch Jena führt 30 Forschungsinstitute an. Wenn man unter den Kooperationspartnern nachschaut, finden sich allerdings nur sechs außeruniversitäre Institute, wovon Potsdam dann allein auf über 20 unter seinen Partnern kommt. Insgesamt gibt es an die 30 in der engeren Region. Um Masse alleine geht es dem Stifterrat aber offensichtlich nicht. Betrachtet man vorangegangene Sieger und Verlierer des Wettbewerbs wird deutlich, dass es vor allem auch darum geht, was die Stadt aus ihren wissenschaftlichen Potenzialen macht, ob die Wissenschaft gezielt als Entwicklungsfaktor vorangetrieben wird.

Sich allein mit den Lorbeeren wissenschaftlicher Innovationen zu schmücken, hat in den vergangenen Jahren noch keiner Stadt den begehrten Titel erbracht – Potsdam im Rennen für 2006 eingeschlossen. Nun wird im Potsdamer Stadthaus strategischer gedacht, die Zielrichtung einer stärkeren Popularisierung der Wissenschaft soll auch über den Wettbewerb hinaus beibehalten werden, egal, ob man gewinne oder nicht. Die langfristige Ausrichtung sei zentral.

Eine wichtige, bislang aber immer noch vakante Frage ist ein zentraler Anlaufpunkt der Wissenschaft im Potsdamer Stadtzentrum. Erst jüngst hatten Vertreter der Potsdamer Forschungseinrichtungen gegenüber der Stadt einmal mehr ein solches Zentrum eingefordert. Aus dem einst geplanten „Science Center“ wurde das „Denkhaus“, das auch wieder verworfen wurde. Nun nennt die Stadtverwaltung das jetzige „Schaufenster“ der FH als einen solchen Ort, an dem die Wissenschaft sich in der Stadtmitte in Zukunft präsentieren könne. An einem Standort, der durch den jüngst abgesegneten Neubau des Landtages auf dem Schlossareal eine große Bedeutung erhalten werde. „Um der traditionsreichen Uni-Stadt Jena etwas entgegen zu setzen“, hieß es bei einem der Vorbereitungstreffen. Der Stifterverband wird Potsdam hier gegebenenfalls beim Wort nehmen.

Ins kalte Wasser wird die Potsdamer Delegation – Oberbürgermeister Jann Jakobs, Uni-Präsidentin Sabine Kunst und Filmparkchef Friedhelm Schatz – morgen nicht springen. Schon im Vorfeld hat man genauestens analysiert, worum es dem Stifterrat geht. Die Authentizität der Bewerbung ist wichtig und die Begeisterung der Präsentatoren. Altenhöner spricht von einem „stimmigen Gesamtauftritt plus Spaßfaktor und Interaktivität“. Es gehe nicht nur darum, was man hat, sondern auch wie man es präsentiert. In Braunschweig, der derzeitigen Wissenschaftsstadt, vermutet man, dass Aachen und Freiburg zu sehr von sich eingenommen waren und daher beim letzten Mal durchfielen.

Potsdam setzt daher auch weniger auf oberflächliches „Name-Dropping“, im Zentrum soll die Verzahnung mit der Öffentlichkeit stehen, was seinen Niederschlag in einer Flut von geplanten Projekten mit verschiedensten Potsdamer Akteuren findet, fast 60 an der Zahl. Hier ist dann auch ein grundlegender Unterschied zur ersten Bewerbung Potsdams im Wettbewerb um den Titel für 2006 zu erkennen. Zu den Kooperationspartnern des Vereins proWissen, der die Triebfeder der Bewerbung ist, zählen eben nicht nur die Forschungseinrichtungen und Hochschulen, sondern unter anderem auch die Musikfestspiele Sanssouci und Nikolaisaal GmBH und die Tourismus-Marketing Brandenburg GmBH. Auch die Schlösserstiftung soll ihr Interesse bekundet haben. So wirkt das Anliegen einer Popularisierung der Wissenschaft bis weit in die Gesellschaft hinein. Ein Beispiel dafür ist die bereits erwähnte Neufassung des Potsdamer Toleranzediktes. Denn dabei sollen Kirchen, Sportvereine oder auch Gastronomen mit einbezogen werden.

Morgen werden zwei starke Bewerber aufeinander treffen. Am Ende wird es darum gehen, welche der beiden Städte glaubhafter machen kann, dass sie die Wissenschaft als Motor für die Entwicklung der Region einsetzt. Potsdam kann zeigen, was es mit seinen Juwelen vor hat. Das ist, wenn es auf eine Entwicklung des Stadtraumes abzielt, allemal mehr, als den Titel dazu zu nutzen, das Jubiläum einer Universität zu feiern. Denn dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man die Bewerbung Jenas genauer betrachtet.

Potsdam hat zudem noch die Chance, im weltweiten UN-Jahr des „Planet Erde“ 2008 gerade mit seinen in den Erd- und Lebenswissenschaften starken Instituten internationale Schwerpunkte zu setzen: Schon heute kommen Signale zur Klima- und Geoforschung, zur grünen Gentechnik und Biotechnologie, zu Zukunftsenergien und zu Lösungen des Kohlendioxid-Problems gerade auch aus Potsdam.

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