Landeshauptstadt: Auf dem Schutt des zerbombten Potsdam
Vor gut 20 Jahren machten Sonnenhungrige aus der „Platte“ die Wetzlarer Kippe urbar
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Vor gut 20 Jahren machten Sonnenhungrige aus der „Platte“ die Wetzlarer Kippe urbar Von Erhart Hohenstein Schlaatz. Die Kleingartenanlage Nuthe-Stern e. V. erhebt sich über dem alten Potsdam, könnte man sagen. Hierher auf die einstige Ödlandfläche im Dreieck zwischen Nuthe, Straßenbahntrasse und Wetzlarer Straße wurden nach dem Krieg die Trümmer der zerbombten Altstadt gefahren. Erst 1981 wurde die Bauschuttkippe geschlossen, auf der inzwischen vielfach auch Müll, alte Autoteile und sonstiger Unrat gelandet waren. Der Kleingärtnerverband bewarb sich um das Gelände und erhielt den Zuschlag. 1983 begann die Kultivierung der so genannten Wetzlarer Kippe – eine Arbeit, die heute wohl kaum noch jemand auf sich nehmen würde. Die Mitglieder der entstehenden Wochendsiedlersparte „Am Stern“ wohnten zumeist in den nahe gelegenen neu errichtete Wohngebieten und hatten den unbändigen Wunsch, aus der „Platte“ heraus und ins Grüne zu kommen. So gruben sie 1983/84 in jährlich 100-stündiger Gemeinschaftsarbeit Leitungs- und Kabelgräben in den bis zu fünf Meter mächtigen Schutt, wobei sich der Vorsitzende, der Polizist Joseph Franzen von der Babelsberger Wache, als wahres Organisationsgenie erwies. „Das war wohl die größte Schinderei, die man sich vorstellen kann“, erinnert sich der heutige Vereinschef Erwin Melzer. „Nur mit Kreuzhacke, Säge, Axt und oftmals schwerer Räumtechnik kamen wir voran. Einige gaben auf, aber neue Mitglieder reihten sich ein, bis wir es endlich geschafft hatten.“ Dem Leitungsbau folgte die Aufschüttung von Mutterboden, die Vergabe der einzelnen Parzellen und schließlich der Aufbau der Bungalows. Ende 1986 standen bereits 66 davon. Wer die 84 in der großen Mehrheit äußerst gepflegten Gärten auf den nach Vögeln benannten Wegen durchwandert, merkt nichts mehr von den Mühen des Anfangs. Und auch nichts davon, dass die politische Wende die Erholungsanlage auf der Kippe ins Kippen brachte. Die veränderten Gesetze stellten den Verein vor die Frage, ob er Wochendsiedlersparte bleiben oder sich zu einer Kleingartenanlage wandeln sollte. Damit war die Pflicht verbunden, auf den Parzellen mindestens ein Drittel Beetfläche mit Gemüse zu bebauen und die Anlage der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Andererseits ist der Pachtzins für einen Kleingarten erheblich niedriger als für ein Wochenendgrundstück. In der Kontroverse darüber trat der alte, verdienstvolle Vorstand zurück – und die Mitglieder entschieden sich dafür, Kleingärtner zu werden. Das wurde auch im neuen Namen „Kleingartenverein Nuthe-Stern“ e.V. deutlich gemacht. Seitdem hat der mittlerweile 75-Jährige, zuletzt beim Kartographischen Dienst beschäftigte Erwin Melzer die Zügel in der Hand. Beim Gang durch die Anlage bestätigt sich, dass nur noch ganz wenige der Zeit der uneingeschränkten Erholungsnutzung nachtrauern und es auf fast allen Parzellen kleingartentypisch wächst und blüht. Öffentlich zugänglich ist Nuthe-Stern auch, obwohl die Bungalows vor kurzem erneut Ziel einer Einbruchsserie wurden. Erst bei Einbruch der Dunkelheit werden die Tore geschlossen. Auf eine Vereinsgaststätte haben die Mitglieder allerdings verzichtet, weil sie nächtliche Ruhestörungen und Vandalismus befürchten. Am Haupteingang zur Anlage sitzt es sich aber auch ohne ein Glas Bier in der Hand sehr angenehm. Hier steht eine Reihe wunderschön blühender fernöstlicher Kirschbäume. Der Potsdam eng verbundene Japaner Takehiko Hirose hat sie gespendet. Er setzte damit seinem Vater ein Denkmal, der 1995 bei einem Erdbeben in Kobe ums Leben kam.
Erhart Hohenstein
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