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Landeshauptstadt: Auf den Kopf gestellt

Humboldt-Schüler verlegten ihren Kunstunterricht in die Galerie Ruhnke

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Selten ist eine Galerie in den Vormittagsstunden so gut besucht wie an diesem Freitag. Galerist Werner Ruhnke hat Musik der 17 Hippies aufgelegt. „Sonst höre ich ja eher Bach und Beethoven“, sagt er, beinahe entschuldigend. Heute aber will er sich ganz auf seine Besucher einstellen: eine 11. Klasse des Potsdamer Humboldt-Gymnasiums, die ihren Kunstunterricht für eine Mußestunde in die Galerie Ruhnke in der Charlottenstraße verlegt hat.

Zum sechsten Mal empfängt Werner Ruhnke Schüler dieses Gymnasiums, um mit ihnen Arbeiten der in seinen Räumen ausstellenden Künstler zu betrachten. An diesem Freitag sind es Grafiken von Georg Baselitz, „einem der streitbarsten und interessantesten Künstler unserer Zeit“. Ruhnke liegt viel daran, dass die Schüler sich mit zeitgenössischer Malerei beschäftigen, unabhängig davon, ob sie zum konkreten Werk einen Zugang finden. „Ich erwarte nicht, dass ihnen das gefällt, aber sie sollen sich ein Urteil bilden“, wünscht er sich. Die Kunst helfe, das weiß er aus eigener Erfahrung, Bestehendes infrage zu stellen, Neues zu ergründen, daran beteiligt zu sein, wenn Dinge sich ändern. Deshalb ist es ihm so wichtig, Heranwachsende neugierig zu machen. Ruhnke tut dies ganz unaufdringlich, sehr offen und tolerant. Er respektiert die Sicht der Jugendlichen und ist ernsthaft daran interessiert zu erfahren, was sie denken und was sie empfinden, wenn sie die Bilder betrachten. Zwei Mädchen fragen sich im Gespräch, warum manche der Motive auf dem Kopf stehen: „Man liest den Titel und sieht, dass es ein Vogel ist. Weil er verkehrt herum hängt, muss man aber noch einmal genauer hinsehen.“

Baselitz schafft es, uns zu irritieren, erklärt Werner Ruhnke. „Er stellt bisherige Sehgewohnheiten infrage, führt uns die verkehrte Welt vor Augen.“ Der Galerist weiß, dass das nicht immer angenehm ist, sondern auch betroffen machen kann. „Künstler malen nicht, um uns zu beglücken oder vordergründig etwas Schönes zu zeigen, sondern um uns zum Nachdenken zu bewegen.“

Während die Schüler durch die Ausstellung wandeln, hält sich Ruhnke im Hintergrund. Wer aber Fragen hat, kann fragen. Einen Jungen stört angesichts einiger „wie hingeschludert wirkender Zeichnungen“, dass das ja jeder könnte, was Baselitz gemalt habe. „Dann mach’s doch“, entgegnet Ruhnke schmunzelnd mit den Worten Joseph Beuys’. Ein anderer Schüler hat weniger Probleme, einen Zugang zu finden. Längere Zeit verweilt er vor der grün-schwarzen Grafik „Einer da“, deren Striche ihn an Graffiti erinnern, eine Technik, die er selbst schon probiert hat.

Manche der Gymnasiasten interessieren sich über die Kunst hinaus auch für den Galeriebetrieb: „Wie wählen Sie die Maler aus? Wer bestimmt den Preis, den ein Bild kostet. Wir wird man Galerist? Werner Ruhnke antwortet geduldig und verblüfft am Ende mit der eigenen Geschichte. Nach langen Arbeitsjahren in einem völlig anderen Metier habe er sich erst vor sechs Jahren entschieden, seine Leidenschaft für moderne und zeitgenössische Kunst zum Beruf zu machen. Und nun möchte er so viele Menschen wie möglich an seiner Begeisterung teilhaben lassen.

Wohl deshalb wird er seine Galerie auch in Zukunft für Schulklassen geöffnet halten. Schon jetzt hat er die Humboldt-Gymnasiasten zur nächsten Vernissage eingeladen, bei der sie mit den Künstlern ins Gespräch kommen können. Am Samstag um 16 Uhr ist es soweit. Dann präsentiert Werner Ruhnke Kaltnadelradierungen und Silberstiftzeichnungen der Hallenserin Claudia Berg sowie Skulpturen des in Kleinmachnow lebenden Bildhauers Andreas Theurer. Antje Horn-Conrad

Antje Horn-Conrad

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