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Von Antje Horn-Conrad: Auf den Punkt konzentriert

Uni-Chor Campus Cantabile und Uni-Orchester Sinfonietta führen heute Bachs Matthäus-Passion auf

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Musik verbindet. Jeder Konzertbesucher kann die unausgesprochene Übereinkunft mit völlig fremden Menschen im Publikum spüren. Aber nicht nur diejenigen, die die Musik hören, sondern vor allem jene, die sie erzeugen, fühlen diese besondere Nähe, findet Sophie Forkel, eine von neunzig Stimmen im Uni-Chor Campus Cantabile, der heute und am Sonntag im Potsdamer Nikolaisaal Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion aufführt. „Wenn in den Proben eine Stelle lange nicht klappt, weil die Hälfte geträumt hat, und plötzlich alle auf den Punkt konzentriert sind, dann entsteht ein Zusammenhalt, aus dem heraus man lernt, den anderen zu vertrauen.“

Für die angehende Literaturwissenschaftlerin bieten die wöchentlichen Chorproben immer auch Gelegenheit, mit Kommilitonen in Kontakt zu kommen. „Mehr als im Seminaralltag, in dem doch jeder sehr auf sich allein gestellt ist“, meint die Studentin, die kurz vor ihrem Abschluss steht. Die Matthäus-Passion ist für sie das vorerst letzte Projekt mit dem Universitätschor, dem sie seit sechs Jahren angehört. „Das hohe Niveau hatte mich überzeugt, außerdem wollte ich während des Studiums etwas Musikalisches machen“, erklärt sie ihre Motivation.

Dem Chor und auch dem Orchester der Universität, der Sinfonietta Potsdam, gehören keineswegs nur Studierende der Musikwissenschaft oder künftige Musikpädagogen an. „Es sind praktisch alle Fakultäten vertreten“, erzählt Professor Kristian Commichau, der beide Ensembles leitet und heute Abend die Aufführung der Matthäus-Passion dirigieren wird. Gemeinsam mit dem Studenten Jaakko Sireén hat er dafür jene Fassung rekonstruiert, mit der Felix Mendelssohn Bartholdy das Werk 1829 zur Wiederaufführung brachte.

Nach dem Tod Bachs war die Matthäus-Passion beinahe in Vergessenheit geraten. Dem erst zwanzigjährigen Mendelssohn war es zu verdanken, dass das Werk den Weg aus den Archiven in die breite Öffentlichkeit fand. Der junge Komponist hatte es gekürzt und für ein modernes Instrumentarium eingerichtet. Seine Aufführung mit der Berliner Sing-Akademie läutete eine europaweite Bach-Renaissance ein.

Solche musikgeschichtlichen Hintergründe streut Kristian Commichau wie selbstverständlich in die Probenarbeit ein. „Noch wichtiger aber ist es, auch einen inhaltlichen Zugang zum Werk zu ermöglichen“, sagt der Dirigent und denkt dabei vor allem an den großen Anteil von Atheisten unter den Studierenden. „Wenn sie den Text verstehen und davon berührt sind, dann berührt das auch das Publikum“, ist sich Commichau sicher. Sophie Forkel kann das bestätigen. Vor einigen Jahren bei den Proben zur Johannes-Passion hatte sie sich erstmals mit der Leidensgeschichte Jesu Christi auseinandergesetzt. Weil ihr der Text in der Musik zu verzerrt erschien, hat sie sich nun eingehender mit dem Evangelium beschäftigt. „Es gibt Szenen, in denen ich ganz beim Text bin, zum Beispiel wenn Judas bereut, weil er die Tragweite seines Handelns unterschätzt hat.“ Dass die Matthäus-Passion im Nikolaisaal und nicht in der Kirche aufgeführt wird, empfindet die Studentin als zusätzliche Herausforderung. „Man ist gezwungen darüber nachzudenken, welche Bedeutung dieses Werk für einen selbst hat.“

Auch deshalb ist für Kristian Commichau eine gründliche Probenphase unerlässlich. Seit Beginn des Wintersemesters hat er die Matthäus-Passion mit dem Chor und dem Orchester parallel erarbeitet. 95 Prozent der Zeit widmet er dem Einstudieren und Motivieren. „Das Konzert am Ende ist das Sahnehäubchen“, sagt er und lacht. Als Dirigent müsse man zwar autoritär sein und sagen, wo es lang geht. Die Aneignung des Werkes jedoch empfindet Commichau als demokratischen Prozess. „Die Musikstudenten kennen mich ja auch aus den Dirigierunterricht. Was ich dort theoretisch vermittle, muss ich natürlich in der Praxis beweisen.“ Für die heutige Aufführung der Matthäus-Passion behält Kristian Commichau die von Bach vorgesehene dialogische Doppelanordnung je zweier Ensembles bei. Thomas Kretschmer und Judith Wolf, Violinisten der Kammerakademie Potsdam, unterstützen die studentischen Orchestermusiker und spielen die Soli. Als langjährige Tutoren sind sie mit der Entwicklung der Universitätsensembles aufs Engste verbunden. Weitere Verstärkung kommt von den Vocal-Concertisten Berlin und vom Kinderchor des Evangelischen Gymnasiums auf Hermannswerder, der den Cantus-firmus-Choral „Oh Lamm Gottes unschuldig“ im Eingangschor singen wird. Als Gesangssolisten konnten die Sopranistin Doerthe-Maria Sandmann, die Altistin Ulrike Bartsch, Tenor Jan Kobow und Bariton Matthias Vieweg gewonnen werden.

Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Str. 10/11, heute 19 Uhr und Sonntag 17 Uhr, Karten 8 bis 14 Euro unter Tel. 0331/288 88 28.

Antje Horn-Conrad

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