Sport: Auf Rekordjagd
Grün-Weiß Brieselang baut extra für das Fußball-Pokalspiel am Samstag gegen Energie Cottbus zwei Tribünen auf. Den Tausch des Heimrechts hatten die vier Klassen tiefer spielenden Havelländer abgelehnt
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In Brieselang erzählen die älteren Zuschauer jetzt wieder häufiger diese Geschichte. Im Mai 1969, vor 45 Jahren, gastiert in Brieselang der Armeesportklub Vorwärts Berlin. Die Berliner, zum vierten Mal DDR-Meister geworden, tingeln nach der Saison ein wenig durchs Land. Chemie Brieselang, wie der Verein damals hieß, gewinnt überraschend mit 5:4 gegen den mit mehreren Nationalspielern angetretenen Gegner, der 1971 nach Frankfurt/Oder delegiert wird und an seine großen Erfolge erst in den späten 1980er-Jahren wieder anknüpfen kann.
So bekannt wie das Ereignis ist, so sehr wird dieser Tage über die Zuschauerzahl von damals gerätselt. Gezählt wurde nicht, sagte der Brieselanger Vereinsvorsitzende Michael Geist, der damals als 21-Jähriger auf dem Platz stand, aber geschätzt: 2000 bis 2500 seien es gewesen. Am Samstag könnte diese Marke übertroffen werden. Energie Cottbus, das in das Mittelfeld der dritten Liga abgestürzte Aushängeschild des Brandenburger Fußballs, gastiert im Viertelfinale des Landespokals in Brieselang. Trotz der Unsicherheit in den Erinnerungen legt sich Trainer Patrick Schlüter fest: „Es gibt einen neuen Zuschauerrekord.“
Nicht ohne Grund: Rund 1800 Eintrittskarten gingen per Vorbestellung weg, kaum welche davon in die Lausitz. Von dort werden 800 Fans erwartet, einen Vorverkauf gab es bei Energie nicht. Bis zu 3500 Zuschauer sollen am Samstag auf der Brieselanger Anlage Platz finden.
1800 Vorbestellungen, Kapazität für fast das Doppelte – wer die moderne Anlage sieht, kann sich dort diese Masse an Leuten kaum vorstellen. Um den Kunstrasen, Baujahr 2008, ziehen sich vier rote Tartan-Laufbahnen. Neben einem Parkplatz für rund 30 Autos ist ein neues Sozialgebäude eröffnet worden, vor rund drei Wochen und nach über vierjähriger Bauzeit. Einige froschgrüne Container erinnern noch an die Zeit davor. Auf der einen Seite des Platzes ist eine kleine Anhöhe, auf der anderen die Trainerbänke. Einige Meter hinter den Bänken liegen einige Kescher bereit – falls der Ball in den recht tiefen Graben geschossen wird, der die Grenze zum nächsten Einfamilienhaus bildet.
Ganz so idyllisch wird es auf dem Fichte-Sportplatz in Brieselang ab dem heutigen Mittwoch nicht mehr aussehen. Um dem großen Interesse gerecht zu werden, werden zwei Stehplatz-Tribünen aufgebaut. Jeweils 1200 Zuschauer können das Pokalspiel am Samstag dann hinter den beiden Trainerbänken in Augenschein nehmen. Weitere 1100 Gäste können sich im Sportplatzrund verteilen.
Den Sportplatz entsprechend herzurichten, ist zugleich eine große logistische Herausforderung. Ein Häuschen für den Ticketverkauf gibt es in Brieselang nicht, die Kassierer sitzen bei normalen Siebtliga-Spielen auf einer hölzernen Sitzgarnitur, die nahe dem einzigen Imbisswagen steht. Der 500 Mitglieder starke Verein hat deshalb versucht, möglichst viele Eintrittskarten im Vorverkauf an den Mann zu bringen. Kassenhäuschen und Zäune werden jetzt ebenfalls aufgebaut, ein zweiter Eingang an der Rückseite des Platzes geschaffen. Auswärtigen Zuschauern wird geraten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen oder die Autos nicht an den falschen Stellen abzustellen – das Ordnungsamt ahnde Parkverstöße häufig.
Auf dem Platz selbst erwartet Brieselangs Trainer Patrick Schlüter, dass sich seine Mannschaft so teuer wie möglich verkauft. Hinsichtlich eines Erfolges verbreitet er bei vier Spielklassen Unterschied nur gedämpften Optimismus. „Wenn wir uns gar keine Chancen ausrechnen, müssten wir nicht antreten“, sagt Schlüter. Aber er sagt auch: „Wenn so ein Profi die Sache ernst nimmt, sollte ein Amateur keine Chance haben.“
Schlüter hat sich Energie Cottbus, das nach einer katastrophalen Saison mit nur 25 Punkten aus der zweiten Bundesliga abgestiegen ist, im Fernsehen angesehen. Mögliche Schwachstellen – Cottbus ist in der dritten Liga Tabellen-Neunter mit 27 Punkten bei sieben Siegen, sechs Unentschieden und vier Niederlagen – will er in dieser Woche an der Taktiktafel verraten.
In der Landesliga, im sogenannten Liga-Alltag, hat Brieselang einen atemberaubenden Saisonstart hingelegt. Elf Spiele, elf Siege, am vergangenen Samstag wurde der Tabellenvierte FSV Babelsberg 74 mit 8:1 deklassiert. Energie-Trainer Stefan Krämer schaute eine Halbzeit lang zu. Und Patrick Schlüter freute sich: „Alle wollten zeigen, dass sie gegen Cottbus dabei sein wollen.“ Einige seiner Spieler, darunter Jess Gastene, Patrick Richter, Lenny Stein und Tarik Wenzel, wurden einst an der Cottbuser Sportschule ausgebildet. Mittelfristig möchte er Grün-Weiß, das sich zu Saisonbeginn mit elf Spielern verstärkte und als wirtschaftlich gesund gilt, in der Brandenburgliga etablieren. Mehr, sagt Schlüter, sei auf der Anlage nicht möglich.
Aber für ein einzelnes, vielleicht denkwürdiges Pokalspiel gegen Energie Cottbus, das nach 17 Jahren Erst- und Zweitklassigkeit erstmals seit 1997 wieder im Landespokal antreten und übers Land tingeln muss, um sich durch einen Finalsieg für den DFB-Pokal zu qualifizieren, setzt man alles in Bewegung. Als Energie vor rund zwei Wochen das Heimrecht, das der unterklassigen Mannschaft stets zusteht, zu tauschen anbot mit dem Argument, die Gefahr von Verletzungen auf dem modernen Kunstrasen auszuschließen, überlegte man kurz – und entschied sich dafür, in Brieselang zu bleiben. „Für eine Gemeinde wie Brieselang ist das etwas Einmaliges“, sagt der Vereinsvorsitzende Michael Geist. Auch wenn am Ende kein 5:4, sondern nur ein neuer Zuschauerrekord steht.
Ingmar Höfgen
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