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Polen zum EU-Beitritt: Zeithistorisches zur Rolle des EU-Novizen
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Polen zum EU-Beitritt: Zeithistorisches zur Rolle des EU-Novizen Von Carsten Dippel In wenigen Tagen wird die Europäische Union um zehn weitere Mitglieder wachsen. Für Polen wird dies ein besonders denkwürdiger Moment sein. Als Teil der „Koalition der Willigen“ unterhält der größte und bevölkerungsreichste Beitrittskandidat derzeit mit rund 200 Soldaten eine eigene Besatzungszone im Irak. Aus der Sicht des transatlantischen Verbündeten gehört Polen damit zum „Neuen Europa“. Doch welchen Platz wird es in der sich erweiternden EU einnehmen? Ist Polen ein „global player“? Nach dem Schulterschluss mit den USA gar ein „Trojanisches Pferd“ amerikanischer Interessen auf dem europäischen Kontinent? Oder wird Polen vielmehr Kern einer künftigen Neuordnung des „Alten Europas“? Fragen, die sich wohl am ehesten aus der Geschichte klären lassen, wie der Politologe Klaus Ziemer befindet. Der Direktor des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Warschau sprach vergangene Woche im Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) über Polens künftige Rolle in der Europäischen Union. Ziemer, der zugleich eine Professur an der Universität Warschau inne hat, weisen zahlreiche Publikationen als Kenner Ostmitteleuropas aus. Seit mehr als 1000 Jahren gehöre Polen zum integralen Bestandteil des durch das römische Christentum geprägten „Alten“ Europas. Dabei habe es stets große territoriale Veränderungen erlebt, was eine multireligiöse und multiethnische Bevölkerung prägte. Zum Spielball der Großmächte Preußen, Russland und Österreich seit Ende des 18. Jahrhunderts degradiert, schwand jedoch Polens Rolle in der europäischen Geschichte. Nur eine kurze Atempause zwischen den beiden Weltkriegen verlieh nationale Eigenständigkeit. Im Herbst 1939 begann schließlich das dunkelste Kapitel der polnischen Geschichte. Nach der Barbarei des Zweiten Weltkrieges hinterließ die in Jalta 1945 vereinbarte Nachkriegsordnung, die das Land Stalins Machtbereich einverleibte, eine zusätzliche traumatische Erfahrung. Wie schon 1939 fühlte man sich vom Westen im Stich gelassen. Doch bewahrten viele Polen, so Ziemer, ein Gefühl nationaler Identität. Widerstand galt fortan als „patriotische Pflicht“, was die Basis für eine breite Oppositionsbewegung schuf. So trug der polnische Krisenherd im damaligen Ostblock unter anderem mit der Solidarnósz-Bewegung erheblich zur Erosion des kommunistischen Herrschaftssystems bei. Viele polnische Oppositionelle sahen bereits in den 70er Jahren in einer deutschen Wiedervereinigung unter Voraussetzung einer sicheren Oder-Neiße-Grenze die Chance, Polen dauerhaft in das westliche Europa zu integrieren. Diese zu Zeiten des Kalten Krieges abenteuerlich anmutende Idee nahm nach dem Zusammenbruch des Kommunismus konkrete Gestalt an. Polen hat seitdem einen gewaltigen Transformationsprozess erlebt, der 1999 den historischen Beitritt zur NATO ermöglichte und schließlich den Weg in die EU ebnete. Trotz zu erwartender Probleme und verbreiteter Ressentiments votiere die übergroße Mehrheit für den Beitritt. Laut einer Umfrage stehe sogar noch vor ökonomischen das „zivilisatorische Motiv“ einer tief empfundenen Zugehörigkeit zu Europa. Ziemer verwies wiederholt auf die Bedeutung der historischen Erfahrung als handlungsleitende Maxime der aktuellen polnischen Politik. Daraus sei ein Bewusstsein gewachsen, dass die Polen stark an das westlich geprägte Europa binde. So sehr gewaltige Probleme nach dem Beitritt gemeistert werden müssten, die im Transformationsprozess entstandenen Erfahrungen ließen sich, so Ziemers Überzeugung, positiv in die EU einbringen. Dies könnte vor allem in der Beziehung zu den östlichen Nachbarn von entscheidender Bedeutung sein, zumal Polen eine Schlüsselstellung in der osteuropäischen Sicherheitsarchitektur einnehmen werde. Aus Ziemers Sicht wird dabei den deutsch-polnischen Beziehungen eine tragende Rolle zukommen. Sie könnte ähnlich wie die deutsch-französische Aussöhnung im vergangen Jahrhundert den Integrationsprozess erheblich stärken. Letztlich werde sich Polens derzeit noch schwankender Kurs zwischen „Altem“ und „Neuem“ Europa auf eine erfolgreiche EU-Mitgliedschaft ausrichten müssen. Ansonsten drohe der Status eines „global player“ die sich durch den Beitritt ergebenden Chancen zu verspielen.
Carsten Dippel
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