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DICHTER Dran: Auf Umwegen

Ich versuche, eine Schwedin zu überreden, nach Potsdam zu ziehen. Wo das liegt, „var exakt?

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Ich versuche, eine Schwedin zu überreden, nach Potsdam zu ziehen. Wo das liegt, „var exakt?“ fragt sie, wenn ich ihr von Kinonächten auf dem Pfingstberg erzähle, von Seen und Lustpavillons im Park. Jwd, sagen Berliner Freunde, und um ihnen das Gegenteil zu beweisen, bin ich dauernd zu ihnen unterwegs, eine Nomadin der Schiene, ganz im Sinne der deutschen Bahn, die die Anreise nach Spandau zum ICE ja auch für einen Abstecher hält. Klar, die S-Bahn-Verbindung ist erstmal gekappt. Aber da ich ein Auto besitze, kein Problem. Bis ich vom Park Babelsberg zum Kaufland am Hauptbahnhof wollte. Mein Tank war leer, aber es war ja nur ein Abstecher. In der Rudolf-Breitscheid-Straße werden Straßenbahnschienen erneuert; abbiegen verboten. Ich schnallte mich an. Die Tankleuchte blinkte. Ich versuchte es links von der S-Bahn.

Aber auch die Einfahrt in die Babelsberger Straße von der Langen Brücke aus war dicht. Es ging Richtung Zeppelinstraße weiter, über die Schlossbaustelle, und ich hatte die Wahl, einmal um den Broadway herum, an der Alexandrowka vorbei zu fahren oder die verengte Fahrbahn über den Platz der Einheit zu nehmen, mit Stau Richtung Stadtautobahn, wo ich ortskundig Zentrum Ost ansteuerte. Der Motor zuckte. Auch diese Abfahrt war gesperrt. Und so fand ich mich unvermittelt auf der Autobahn nach Leipzig. Die Tankleuchte glomm dauerhaft. Doch so leicht lasse ich mich nicht einschüchtern! Ich gedachte, über den Umweg in die Messestadt von der anderen Seite her den Bahnhof meiner Heimatstadt anzufahren, und schwelgte in jenem versunkenen Gefühl aus Mauertagen, als man noch einmal um Berlin herumfuhr, um Berlin zu erreichen.

Leider blieb ich bei Bitterfeld liegen. Wo genau, fragt meine schwedische Bekannte, var exakt, fragte ich, zu Fuß auf dem Rückweg aus dem Sächsischen.

Ich werde ihr sagen, Potsdam liegt auf der Höhe der Zeit. Man rekonstruiert die Stadt, ersetzt Gebäude mit Gebäuden, Geschichte durch Geschichte, bis sie in endloser Spiegelung sich selbst verliert. Sie ist unerreichbar. Selbst in Potsdam ist man von Potsdam meilenweit entfernt.

Unsere Autorin lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Ihr 2007 erschienener Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt zahlreiche Auszeichnungen und war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Antje Rávic Strubel

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