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Landeshauptstadt: „Auf Wiedersehen da drüben“

Lebensbuch von Herbert Peucker überliefert Familientragödie in der Bombennacht von Potsdam

Stand:

Heute jährt sich der verheerende englische Luftangriff auf Potsdam zum 62. Male. Eines der wichtigsten, bisher aber in keiner Veröffentlichung zur Bombennacht von Potsdam berücksichtigte Zeitzeugnis stellen die Aufzeichnungen von Oberregierungsdirektor Dr. Herbert Peucker (1888 - 1968) dar, die er „Lebensbuch“ nannte. Der leitende Angestellte des Potsdamer Rechnungshofes besaß Am Brauhausberg 14 ein Haus, das er mit seiner Frau Claire (Klara), seinen drei Kindern und seiner 82-jährigen Mutter bewohnte. Vor Kriegsende hatte er auch Flüchtlinge aufgenommen, so Verwandte und eine aus der Ukraine stammende Flüchtlingsfamilie. Als das Haus am 14. April 1945 durch Sprengbomben bis auf das Kellergeschoss zerstört wurde, wobei zwei Bewohner den Tod fanden, schienen auch die Tagebücher verloren. Doch Peucker entdeckte sie Monate später in den Trümmern fast vollständig wieder. Seine Nachfahren haben die Lebensbücher aufbewahrt und unter Hinzuziehung von Aufzeichnungen seiner Ehefrau und seiner Tochter Ilse weitere Forschungen dazu betrieben. Auf die Tagebücher wurden die PNN von Dr. Hans-Dieter Dannenberg aufmerksam gemacht. Dank gilt Ilske Gräfin von Schweinitz, einer Urenkelin von Herbert Peucker, die der Verwendung der Zitate für den folgenden Beitrag zustimmte.

„Ein erstes Frühlingsahnen mit warmem Sonnenschein“ hatte am Sonnabend, dem 14. April 1945, die Potsdamer mit Hoffnung erfüllt, dass „unserer Stadt vor Kriegsende keine schweren Prüfungen mehr bevorstanden“. Diese Zeilen finden sich im Tagebuch von Oberregierungsdirektor Dr. Herbert Peucker. An dem schönen Frühlingstag hatten die Bewohner im Garten Kartoffeln gesteckt, danach Kaffee getrunken. Der Sohn Hans-Herbert kehrte abends von einem Kinobesuch zurück und legte sich schlafen. Gegen 21 Uhr kam dann die Radiomeldung, starke Bomberverbände seien im Anflug auf Mitteldeutschland. „Ich hoffte zunächst, dass wir nur überflogen werden“, notierte Herbert Peucker. „Aber dann, als ich hinaus sah, war es taghell über der Stadt und nun wusste ich, was die Stunde geschlagen hatte.“ Schnell schickte er die Hausbewohner in den Luftschutzkeller. „Kaum hatte ich die Tür geschlossen, ging es schon los Die Einschläge kamen immer näher und auf einmal gab es einen furchtbaren Krach und schon prasselten Trümmer aller Art auf uns herab.“ Das vierjährige Flüchtlingskind Eugen war sofort tot, ein Mädchen aus der ukrainischen Familie wurde schwer verletzt. Herbert und Hans-Herbert Peucker wurden durch Trümmer eingeklemmt. Während der Vater befreit werden konnte, schlugen beim Sohn, der unter einem schweren Balken eingezwängt war, alle Versuche fehl. „Vati, wenn nicht bald Hilfe kommt, ist es aus“, sagte er und wenig später „Auf Wiedersehen da drüben.“ Dann erlag er seinen schweren Verletzungen.

Erst am nächsten Vormittag konnte Hans-Herbert geborgen werden. Dabei leisteten auch Nachbarn, so die Familie von Oberbürgermeister Hans Friedrichs, Unterstützung. „Er wurde zunächst an einer von Schutt freien Stelle hingebettet Sein Antlitz hatte nichts Verkrampftes, eine erhabene Ruhe breitete sich über seine Züge aus Nun brach der große Schmerz ungehemmt hervor und vor ihm kniend streichelten wir immer wieder sein schönes blondes Haar, während wir den Tränen freien Lauf ließen.“

Die Peuckers hatten somit bereits ihren zweiten Sohn verloren. Gerhard, der als Schiffsoffizier bei der Hapag angestellt war, kam 1943 während eines Urlaubs mit seiner jungen Frau im Flammenmeer um, in das Phosphorbomben Hamburg verwandelten. Beiden hatten die Eltern gute Aussichten für die Nachkriegszeit eingeräumt, „weil sie nicht Mitglied der Nationalsozialistischen Partei waren, noch der SA, SS usw. angehörten“. Hans-Herbert, der als Ingenieur in den Arado-Flugzeugwerken in Babelsberg arbeitete, „war sogar von solch glühendem Hass gegen den N.S. erfüllt, dass ich immer fürchtete, er könnte einmal an einen Gestapoagenten geraten, wenn er seinem Zorn Luft machte“, vertraute der Vater dem Tagebuch an. Nach den Aufzeichnungen, die seine Schwester Ilse 1945/46 auf Packpapierränder und Zettel niederschrieb, wollte sich Hans-Herbert „absetzen und zu den Amerikanern durchschlagen“. Doch er „wollte uns und besonders auch die Eltern nicht sich selbst überlassen. Sein Ausharren musste er dann mit dem Leben bezahlen.“

Den Peuckers blieb ihre mit dem Diplomingenieur Gustav Heinrich Jennen verheiratete Tochter Ilse, die im Februar das Haus Am Brauhausberg verlassen und mit ihren beiden kleinen Kindern in Mecklenburg Zuflucht gesucht hatte. Sie fand schließlich in Aurich (Niedersachsen) eine neue Heimat. Dr. Herbert Peucker war mit seiner Frau zunächst in Potsdam geblieben. Er hoffte auf eine Wiederbegründung des Rechnungshofes in der heutigen Dortustraße. Von den russischen Besatzern wurde der 57-Jährige für Aufräum- und Transportarbeiten, so im Neuen Garten, herangezogen. Die Familie erhielt zunächst in einer Baracke der Funkstelle des Oberkommandos des Heeres (OKH) in Nedlitz, dann Im Bogen und schließlich in der Kantstraße Quartier. Vergeblich versuchte Herbert Peucker, das erhaltene Kellergeschoss seines Hauses vor Plünderungen zu schützen.

1946 übersiedelte die Familie nach Norddeutschland, die englische Besatzungsmacht beauftragte Dr. Peucker mit dem Wiederaufbau des Rechnungshofes in Hamburg. Seine Ehefrau Claire, eine Tochter des Generaldirektors der Vereinigten Lausitzer Glaswerke in Weißwasser, wurde eine erfolgreiche Malerin. Die glücklichen Jahre am Brauhausberg konnten sie nicht vergessen. „Immer wieder dachte ich daran, wie schön es die Kinder in Potsdam gehabt hatten, mir wurde weh ums Herz, und ich beklagte, wenn auch nur innerlich, unser grausames Geschick“, schreibt Herbert Peucker im Sommer 1946 in sein Tagebuch.

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