
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Aufs Meer, in den Tod
Bornstedts Friedhof ist für die Gräber von Hofgärtnern bekannt. Er ist aber auch Ruhestätte von Marineangehörigen
Stand:
Jobst von Albedyhll war gerade 20, als er als Sanitäter auf dem Segelschulschiff „Niobe“ diente, ein Viermastgaffelschoner, der am 26. Juli 1932 im Fehmarnbelt sank. Auf einem Foto – das gleichzeitig auch eines der letzten des Schiffes ist und vom Bremer Schulschiff „Deutschland“ aus gemacht wurde – sieht man das mächtige Segelschiff, wie es sich nach links neigt. Diese Neigung, ein Konstruktionsfehler, der zur Topplastigkeit führt und durch überdimensionierte Segel ausgelöst wird, wird dem mächtigen Segelschiff in einem Gewitter zum Verhängnis. Das Schiff sinkt schnell, von den 109 Besatzungsmitgliedern können nur 40 gerettet werden. Jobst von Albedyhll ist nicht darunter, er findet sein Grab jedoch nicht im Meer, sondern auf dem Bornstedter Friedhof.
Für die Bornstedter ist dieser Friedhof nicht nur eine Ansammlung von Grabstätten, sondern eine Quelle von Geschichten und Schicksalen: Es hat sich sogar ein Verein „Freunde des Bornstedter Friedhofs e.V.“ gegründet, der regelmäßig Veranstaltungen organisiert. Auch am Samstag war die kleine Kirche gut gefüllt, Siegfried Gebser hat zu einem „Vortrag mit optischer Videobegleitung“ geladen. Thema: Marinehistorische Grabstätten auf dem Bornstedter Friedhof.
Wer jedoch Einzelschicksale wie das von Albedyhlls erwartet, der wird enttäuscht: Gebser geht es nicht um die Menschen, sondern um die militärhistorischen Geschehnisse Anfang des vergangenen Jahrhunderts. „Ich freue mich, Ihnen eine Stunde bieten zu können, die sie nicht langweilen wird“, begrüßt er die zumeist älteren Anwesenden. Gebser ist so ein militärhistorisches Fossil, das eine Kapitänsseele beherbergt. Schließlich hält er auch Vorträge über das Potsdamer Infanterieregiment und die Bombenkriege – und alles nahm für Gebser seinen Beginn mit dem Bornstedter Friedhof. Gebsers Interesse für die Marine kommt nicht von ungefähr: Schon sein Vater war bei der Marine und ursprünglich wollte auch er selbst zur See, wurde jedoch aus der Offiziersschule der DDR-Volksmarine ausgeschlossen, als er sich weigerte, sich der Baltischen Flotte der Sowjetunion unterzuordnen – dies war durch den Anschluss der DDR an den Warschauer Pakt beschlossen worden. Gebser ging stattdessen zur Reichsbahn, begann dort Fotos zu machen, die so gut waren, dass er schließlich an der Filmhochschule Babelsberg zugelassen wurde. Nicht ohne Umwege wird er schließlich Kameramann.
Und so gerät sein Vortrag auch zu einer Art Dokumentarfilm, auf einer Leinwand läuft eine Fotostrecke ab, während Gebser mit dem Rücken dazu referiert. Er habe schon ein bisschen Angst gehabt, eine Stunde synchron zu den Aufnahmen zu sprechen, gesteht er hinterher, als es ihm doch gelungen ist. Aber er hat viele Schwarzweiß-Aufnahmen aufgetrieben, Schiffe unter hohen Segeln oder quellendem Dampf. Bilder, die Geschichten erzählen, die 80, 90 oder gar 100 Jahre her sind. „Segelfläche, Schiffsrumpf, Übertakelung, Schlagseite“: Schlagworte aus der Chronik eines Untergangs, und nicht nur im Meer blieben die Toten, sondern auch auf dem Bornstedter Friedhof.
Marineoffizier Freiherr Fritz von Sell ist auch einer der Toten des Bornstedter Friedhofs, die von Gebser entdeckt wurden. Geboren 1882, trat er 1900 in die kaiserliche Marine ein und geriet im Januar 1918, kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges, mit der „S.M.S. Breslau“ der kaiserlichen Marine in ein britisches Minenfeld vor den Dardanellen. Und landete letztlich als Ertrunkener auf dem Bornstedter Friedhof.
Beim Zuhören drängt sich das Militärische immer wieder in seiner ganzen Sinnlosigkeit auf, es ist eine seltsame Konstellation: von der maritimen Schönheit von Schiffen, die nur dazu da sind, andere Schiffe zu zerstören oder von ihnen zerstört zu werden. Gebser erzählt die Geschichte, ungerührt ob der Toten, die im salzigen Wasser den grausamen Tod fanden, gespickt mit Vokabeln wie „zerstört“ und „versenkt“. Und immer wieder die Russen, die Briten, die Franzosen, die „Opfer einer gegnerischen List“, die „gegnerischen Zerstörer versenkt“ oder die „bei einem Manöver in ein Minenfeld gerieten“. Es scheint fast notwendig, dass diese Schiffe – „tonnenweise stählerne deutsche Wertarbeit“ – unweigerlich auf den Meeresgrund sinken mussten. Irgendwann ist es auch einfach zu viel des militärischen Jargons, in dessen Lauf sich kaiserliche Flotten die Köpfe einschlugen. „Ja, schrecklich war die Zeit schon, aber so ereignisreich!“, sagt Gebser, und seine Augen strahlen.
Wenn man das Meer heute als einen Ort des massenhaften Sterbens sieht, so braucht man jedoch nicht erst in die Vergangenheit sehen, sondern einfach nur einen Blick in die Gegenwart zu werfen. Denn der Tod auf einem Schiff lauert auch noch dieser Tage, fernab von militärhistorischen Erinnerungen.
Oliver Dietrich
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: