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Landeshauptstadt: „Auftragsblöcke seit Monaten nicht“

Die Versorgungslage im Bezirk Potsdam in den 80er Jahren – von der DDR-Staatssicherheit dokumentiert

Stand:

DDR-Wirtschaft – das bedeutete Mangelwirtschaft, die sich in einer schlechten Versorgungslage der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen niederschlug. Dokumente der DDR-Staatssicherheit, die in der Potsdamer Außenstelle der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) gefunden und aufgearbeitet wurden, geben heute Auskunft über die tatsächliche Versorgungslage im damaligen Bezirk Potsdam in den 80er Jahren. Wir möchten unseren Lesern diesen Einblick in eine nicht allzu entfernte Vergangenheit vermitteln. Teil 2: Industriewaren.

Den Geschäftsbericht des volkseigenen Einzelhandels (HO) des Bezirkes Potsdam für das Jahr 1979 erhielt die Stasi am 7. März 1980 von IM (Informeller Mitarbeiter, die Red.) „Ackermann“. Er vermerkte, dass im Sortiment Industriewaren die Umsatzzielstellungen mit 102,1 Prozent erfüllt wurden. Die Bestände des Großhandels würden aufgrund erhöhter Anforderungen und ständig steigender Lieferrückstände sinken. Die ständige Lieferbereitschaft sei dadurch nicht mehr gegeben und in den Verkaufsstellen seien verstärkt Sortimentslücken sichtbar. Neben den lieferstrukturbedingten Mängeln ließ auch die Verkaufstätigkeit in den Kollektiven zu Wünschen übrig, was die Angebotslage kompliziert habe. Am 26. März 1980 berichtete IM „Ackermann“ aus dem Auszug aus der Jahresanalyse 1979 „Kampf gegen Handelsverluste bzw. der Warenverluste“. Der Analyse zufolge, liege die Ursache für Warenverluste „im Ausfall von Kühlmöbeln, an Überalterung, an zu langen Reparaturzeiten, fehlenden Ersatzteilen, in der Ablehnung von Reklamationsprotokollen und in der Warenbehandlung und -pflege“.

Tags darauf las man zur Warenfondssicherung 1980, dass der geplanten Umsatzleistung Möbel im Wert von 8,7 Millionen Mark fehlen. Ein Teil des fehlenden Warenfonds werde durch Importe gesichert. „Im Sortiment Technik ist der Fehlbetrag sogar auf 16,2 Millionen Mark gestiegen.“ Zur Sparte Chemiehandel schreibt er: „Wir werden nicht bei allen Anstrichstoffen eine durchgängige Versorgung sichern.“

Am 7. März 1986 informierte IM „Helmut“ die Stasi zur Planerfüllung bei Möbeln: „Generell muß eingeschätzt werden, dass die Umsatzerfüllung für das Jahr 1986 sehr gut angelaufen ist. Auch das Einrichtungshaus Potsdam hat seinen Monatsplan Februar mit 119,6 % erfüllt. Sicherlich, und das haben tägliche Umsatzmeldungen ergeben, wirkte sich die Gewährung von Krediten positiv aus. Insgesamt wurden für 17 Modelle Kredite gewährt. Bei den Wohnraummöbeln handelt es sich um Modelle, wo es Bestandsprobleme gab und somit auch Absatzprobleme von seiten der Produktion. Die Bestände wurden dadurch stark abgebaut."

Im April schreibt IM „Helmut“, „dass von den 17 Modellen Möbeln, die auf Kredit angeboten werden können, gegenwärtig nur 8 im Angebot sind. In den Diskussionen mit den Verkäuferinnen wurde mir bestätigt, dass sich vor der Öffnungszeit Kunden anstellen, um dann Modelle auf Kredit zu kaufen.“

Der Informant Klaus Weber schrieb am 18. Dezember 1986: „Trotz der vorhandenen Lieferrückstände wird der SHB Möbel Potsdam seinen Umsatzplan 1986 erfüllen, vermutlich sogar mit 2 Mio. M. übererfüllen. Dieser Widerspruch erklärt sich dadurch, dass die vorhandenen im 1. und 2. Quartal sehr hohen vorhandenen Lagerbestände an Möbel abgebaut wurden. Besonders angespannt sieht die Möbelsituation bei Polstermöbel, Schlafzimmern und Küchen aus. Im Angebot sollen laut den Handelsauflagen 8 - 9 verschiedene Modelle an Küchen sein, derzeitig sind nur 2 - 3 Küchenmodelle im Angebot." Bei Raumtextilien sei die gleiche Situation zu verzeichnen. Inoffiziell sei man davon abgegangen von einer bedarfsgerechten Versorgung zu sprechen, sondern spreche jetzt von planmäßiger Versorgung, ohne jedoch wegen der fehlenden Möbel eine Planreduzierung vorzunehmen. Hier der Blick auf eine Auswahl an Schreibwaren, Büro- und Freizeitbedarf sowie Haushaltssgeräten, welche 1986 zeitweise nicht erstanden werden konnten: „Füller zu 12,- M und 3,20 M, Bleianspitzer, Büroklammern, Briefpapier, Buntstifte, Wochen- und Abreißkalender, Geschäftsbücher A4 und A5 liniert und kariert, Auftragsblöcke seit Monaten nicht, Durchschlag- und Durchschreibepapier (Blaupapier), Unterschriftenmappen seit Monaten nicht, Journale, geleimte Wandfarbe, Holzkaltleim, Fensterkitt, Pinsel, Bürsten (nur ganz kleine im Angebot), Verdünnung, Raufasertapete, Allesschneider, Kaffeemaschinen, Multiboys, Bügeleisen, Heizkissen, einfache Föne, Partygrill, Boiler, Nähmaschinen, Waschmaschinen (WM 66, Romo), Vollautomaten, Waschkessel, Ofenrohr und Bögen.“

Unser Autor Johannes Limberg ist in Babelsberg geboren, ist Student der Neueren und neuesten Geschichte, der Politikwissenschaften und Philosophie an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster. Derzeit hält er sich als Erasmus-Stipendiat an der Universität Bergen in Norwegen auf. Zuvor war er Praktikant in der Potsdamer Außenstelle der BStU. Die Außenstelle wird am Jahresende geschlossen.

Johannes Limberg

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