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Testlauf für das Klima: Das GFZ Potsdam pumpt bei Ketzin 60 000 Tonnen CO2 unter die Erde
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Der Ort hat eine fragwürdige Geschichte.Unweit von Ketzin, wo ab Juni Potsdamer Geoforscher das Klimagas Kohlendioxid zu Testzwecken in die Erde pumpen werden, lagerte zu DDR-Zeiten Erdgas. Mitte der 60er Jahre war es dabei zu einer Gaseruption gekommen, in den Kellern des benachbarten 350-Seelen-Dorfes Knoblauch trat Gas aus. Das Dorf wurde kurzerhand evakuiert und abgerissen, die Bewohner in Wohnblocks in Ketzin umgesiedelt, die heute noch „Knoblauch“ heißen.
Daran denkt heute niemand mehr. Der Ortsbürgermeister Bernd Lück begrüßt das Projekt CO2-Sink unter Federführung des Potsdamer GeoForschungsZentrums (GFZ), für das gestern Bohrstart war. Der Bürgermeister erhofft sich auch wirtschaftliche und touristische Effekte durch das bislang auf dem europäischen Kontinent einzigartige Projekt. Pfarrer Thomas Zastrow spricht davon, Verantwortung zu erkennen, aus Irrtümern zu lernen und neue Wege zu gehen. Er meint den Klimawandel, der hauptsächlich durch das von fossilen Brennstoffen freigesetzte Kohlendioxid entfacht wird. Und davon sollen hier ab Juni bis 2009 insgesamt 60 000 Tonnen – drei Tanklaster pro Tag – in 700 Meter Tiefe gepumpt werden.
Die Idee ist ganz einfach: Das von der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas frei werdende Kohlendioxid wird vom Verbrennungsqualm abgeschieden und wieder dort hin gebracht, wo es herkommt: unter die Erde. Dort gerät es bei 35 Grad und hohem Druck von 80 bar in einen flüssigen Zustand mit gasähnlichen Eigenschaften. Damit wäre ein großer Teil des Klimagases erst einmal aus dem Auge. Ob dies aber auch so einfach ist, wie es klingt, wollen die Forscher nun in dem Experiment mit 18 Partnern aus neun Ländern herausfinden. Das Bohrloch wird von zwei in L-Form angesetzten Beobachtungsbohrungen flankiert. Hier will man feststellen, wie sich das Kohlendioxid unter der Erde in den Hohlräumen der Sandsteinschichten verhält. Und ob dies eine langfristig sichere Lagerstätte ist.
„Wir sind noch am Anfang der Forschung und haben keine gesicherten Erkenntnisse über Risiken und Möglichkeiten“, erklärt GFZ-Chef Rolf Emmermann. Skeptiker kann er allerdings erst einmal beruhigen. Kohlendioxid sei unbrennbar, ungiftig und schwerer als Luft. Doch was passiert, wenn das Kohlendioxid, wie damals das Erdgas, plötzlich wieder hochkommt? Emmermann erklärt, dass man das Gas unter mehrere Zwischenschichten lagert. „Die Gesteinsschichten sind in der Regel dicht“, erklärt er. Sollte doch CO2 austreten, werde es sich an der Oberfläche mit der Luft vermischen. „Es werden keine Kühe umfallen“, versichert Emmermann und erklärt weiter, dass die Mengen CO2, die täglich an einem Kraftwerk frei werden, weitaus größer sind als das in Ketzin unter die Erde gebrachte Volumen. „Unser Experiment ist sehr vorsichtig, wir nutzen nur knapp ein Prozent der möglichen Lagerkapazitäten aus“, so der Geologe.
Womit allerdings auch klar wird, dass CO2-Sink nur ein Forschungsprojekt ist, noch sehr weit entfernt von einem Allheilmittel für das Weltklima. Denn die CO2-Mengen, die durch die Energiegewinnung derzeit noch frei werden – allein in Deutschland jährlich hunderte Millionen Tonnen –, bräuchten erhebliche Lagerkapazitäten. Solche gibt es nach Ansicht der Geoforscher gerade im norddeutschen Sedimentgestein zwar reichlich. Emmermann spricht von einem Speichervolumen für über 100 Jahre. Aber um die Sache auch effizient zu machen, müssten die Kraftwerke da gebaut werden, wo Lagerstätten vorhanden sind. Lange LKW-Fahrten und Pipelines sind schlichtweg zu teuer.
Dennoch: Das Projekt setzt erst einmal Maßstäbe. Sollte es erfolgreich, also störungsfrei, verlaufen, könnte es gerade auch für die kohlehungrigen Schwellenländer eine Möglichkeit sein, in Zukunft klimafreundlich Energie zu erzeugen. Den Bedarf einer solchen Technik hat Emmermann schnell geschildert: Die weltweite CO2-Emission wird trotz Klimaschutzes bis 2030 erheblich ansteigen, gerade auch durch Indien und China. Das sehen auch Klimaforscher realistisch: So lange Kohle da ist, wird sie auch verbraucht. Also versucht sich das GFZ an die Spitze der Entwicklung zu setzen, und eine saubere Lösung anzubieten.
Allerdings, und das stellt Emmermann klar, ist das Verfahren für die Forscher nur eine Übergangslösung: zum „Zeitgewinn“ bis erneuerbare Energien und andere CO2-freie Energietechnik die fossilen Brennstoffe ablösen. Dies scheint bei der Politik noch nicht ganz angekommen zu sein. Denn zum Bohrstart lobte gestern Staatssekretär Wolfgang Krüger vom brandenburgischen Wirtschaftsministerium, dass das 35 Millionen Euro teure Forschungsprojekt der Braunkohleverstromung, die im Land über 80 Prozent der Energie liefert, nach 2020 eine emissionsfreie Zukunft eröffne. Umweltschützer des BUND kritisieren indes an dem Verfahren, dass die Abtrennung von CO2 den geringen Wirkungsgrad von Kohlekraftwerken weiter verringere.
Für das GFZ ist Ketzin ohnehin ein Experiment. „Wenn am Ende der Eindruck entsteht, dass das Verfahren keine Option ist, werden wir als Wissenschaftler dies auch sagen“, stellt Emmermann klar. Vielleicht ist es aber auch gerade richtig, dass sich die Forscher mit ihrem „gesamten methodischen Arsenal“ der Sache angenommen haben, damit es nicht zu einem zweiten Fall „Knoblauch“ kommt. Auch wurde gestern die Heilige Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute angerufen. Auf dass es für die Feuerwehr, die mit ihrer Gulaschkanone angerückt war, der letzte Einsatz an der Bohrstelle sei.
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