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Zur Berechtigung der Intuition: Psychologe Gerd Gigerenzer sprach im Einstein Forum über die Intelligenz des Unbewussten
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Jeder kennt das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. In bestimmten Situationen warnt uns unser Bauchgefühl vor drohendem Unheil. So etwa in dem Fall eines amerikanischen Drogenfahnders, der auf dem Flughafen einem Fluggast kurz in die Augen blickte. Obwohl der Fahnder bei hunderten von anonymen Passanten vor einer fast unlösbaren Aufgabe stand, traf er ins Schwarze. Die unauffällige Frau, die er kontrollierte, erwies sich als Drogenkurier. Dass der Fahnder später jedoch nicht zu sagen vermochte, wie er diese Entscheidung gefällt hatte, überrascht Prof. Gerd Gigerenzer nicht. Der Psychologe forscht am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung zur menschlichen Entscheidungsfindung in komplexen Situationen. Mit seinen Veröffentlichungen zur menschlichen Intuition sorgt Gigerenzer derzeit international für Furore. Jüngst kam er mit dem Vortrag „Intuition – die Intelligenz des Unbewussten“ an das Potsdamer Einstein Forum.
„Weniger ist oft mehr!“ So lautet die Botschaft des Forschers, wenn es um schwierige Entscheidungen geht. In einer ganzen Reihe von Studien hat er nachgewiesen, dass es oft sinnvoll ist, Informationen zu ignorieren. Etwa, wenn es um Geld geht. Im Jahr 2000 richtete er mit einem Kollegen ein Aktiendepot im schwierigen Umfeld der Internetwirtschaft ein. Seine Methode: Er befragte Passanten auf der Straße, welche Unternehmen ihnen namentlich bekannt waren. Die bekanntesten Unternehmen kamen in das Aktiendepot. „Kaufe, was du kennst“, lautet die intuitive Regel, die jeder Mensch gerne befolgt. Und Gigerenzer gelang das, was die Fachwelt schon in anderen Experimenten erstaunt hatte: Das intuitiv zusammengestellte Depot entwickelte sich deutlich besser, als ein von Spezialisten erstelltes Konkurrenzportfolio. Das Bauchgefühl zufälliger Passanten hatte die gut informierte Finanzwelt geschlagen.
Der Grund für diesen Erfolg, so Gigerenzer, liegt in der Unübersichtlichkeit der Informationslage. Niemand könne alle Faktoren, welche die Finanzmärkte beeinflussen, bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Gerade dies sei die Schwäche von Computermodellen und Expertenanalysen. Der Versuch, alle wichtigen Daten bei einer Entscheidung zu berücksichtigen, sei riskant. Je komplizierter die Situation, desto schwieriger werde ihre rationale Analyse.
Auch die Liebe gab hierzu ein gutes Beispiel. Wer möchte schon ganz rational entscheiden, ob der betreffende Partner zu einem passt? Gigerenzer kannte nur einen Kollegen, der seine Frau aufgrund einer Liste von Vor- und Nachteilen geheiratet hatte. „Sie sind inzwischen geschieden“, so Gigerenzers Resümee.
In der Fachsprache der Kognitionspsychologie sind Intuitionen „unbewusste adaptive Heuristiken“. Diese sind Faustregeln, die Informationen ignorieren. Ob bei dem Drogenfahnder, bei der Geldanlage oder im Sport – dem intuitiven Handeln liegen oft einfache Regeln zugrunde. Diese Regeln kann der Handelnde aber nicht bewusst in Worte fassen. Diese Tatsache schafft Misstrauen. Intuition gilt heute kaum als vernünftige Begründung von Entscheidungen.
Das gefühlte Wissen der Intuition werde heute weniger genutzt, als es wünschenswert wäre, so Gerd Gigerenzers Botschaft. Aber diese Sicht muss sich noch durchsetzen. Sowohl die florierende Ratgeberliteratur für Lebensfragen, wie auch Unternehmensberater und die Sicherheitspolitik verlassen sich auf die logische Analyse komplexer Situationen. Auch den Versprechen der Banken, mit nobelpreisgekrönten Anlagestrategien für ihre Kunden zu punkten, schenkt der mathematisch gut ausgebildete Psychologe wenig Glauben. Der Spezialist für Statistiken hinterfragt den weit verbreiteten Glauben an mathematische Modelle und ihre Datenfluten: „Computer haben keine Intuition.“ Dennoch würden Entscheidungsträger heute eine trügerische Sicherheit in den Zahlen suchen. Besonders wenn er Verantwortung tragen müsse, vertraue der Mensch lieber der rationalen Logik, als seinem Bauchgefühl.
Dabei steht uns der Bauch näher, als das Gehirn. Diese Meinung vertrat Prof. Hans Julius Schneider, der die Gesprächsleitung übernommen hatte. Der Potsdamer Spezialist für Sprachphilosophie und Logik steht der Intuition durchaus offen gegenüber. Dennoch habe die Intuition auch in der Philosophie immer einen schweren Stand gehabt. Das unmittelbare Erfassen eines Phänomens sei in der Philosophiegeschichte als eine niedere Form der Erkenntnis gedeutet worden. Die Unmittelbarkeit der ästhetischen Erfahrung sei hier eine der wenigen Ausnahmen.
Lange habe die rationale Analyse der Tatsachen als ein Garant gegen Ideologie und Irrglauben gegolten, sagte Hans Julius Schneider nach der Veranstaltung. Dafür kann der Philosoph auch Verständnis aufbringen. „Aber man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und sich nur auf die Vernunft verlassen.“ Auch Prof. Schneider kritisierte die heutige Tendenz, gesellschaftliche Institutionen nur nach vermeintlich rationalen Kriterien auszurichten. Somit richteten sich beide Wissenschaftler gegen die einseitige „Rationalisierung“ in Politik und Wirtschaft. Es wirkte, als hätten beide Wissenschaftler das Gefühl, dass etwas nicht stimmt.
Mark Minnes
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