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Landeshauptstadt: Aus der Wolke in die Wand

Das Wasserwerk in der Leipziger Straße fördert jährlich fast zwei Millionen Kubikmeter

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Das Wasserwerk in der Leipziger Straße fördert jährlich fast zwei Millionen Kubikmeter Von Juliane Wedemeyer 1975 fiel ein kleiner Regentropfen aus seiner Wolke. Er landete auf dem Boden des Sago-Geländes kurz vor Wilhelmshorst. Sofort machte er sich auf den Weg in die Leipziger Straße zum Wasserwerk. Wasserhahn auf, Wasser raus und in die Kaffeemaschine. Woran wahrscheinlich niemand beim morgendlichen Kaffee denkt: Das Wasser darin hat schon einiges erlebt. Für den Tropfen ging es erst einmal mitten durchs Erdreich – immer leicht abwärts. Der Grundwasserstand ist am Wasserwerk tiefer, weil dort Pumpen ständig Wasser aus dem Boden ziehen. Das Regenwasser aus dem 120 Quadratkilometer großen Einzugsgebiet des Werks am Havelufer speist 80 Brunnen. Doch auf dem Weg zu ihnen lässt der Tropfen sich viel, viel Zeit: Die Honecker-Ära kam, dann die Wende und die Wiedervereinigung. Potsdam wurde 1000 Jahre alt und trug die Bundesgartenschau aus. Wenn der Tropfen in diesem Jahr in der Leipziger Straße ankommt, sind 30 Jahre vergangen. Parkähnlich zieht sich das Werksgelände am Fluss entlang. Seine weiten Wiesen werden nur durch vereinzelte rote Backsteingebäude unterbrochen. Hin und wieder tauchen blaue Eisenrohre im gemähten Grün auf – wie dicke blaue Schlangen. Beinah eine Sommeridylle. Alles scheint ruhig. Doch unter dem Rasen brodelt es. Pumpen saugen das Wasser aus der Erde empor, durch die 40 Zentimeter dicken Leitungen strömt es in die riesigen blaue Kessel in der Filterhalle. 30 000 Liter laufen stündlich durch die fast zwei Meter hohe Quarzkiesschicht in den Behältern. An einem ganzen Tag fließen durch alle zwölf Tanks in der Filterhalle über acht Millionen Liter – viermal soviel, wie in das große Becken der Schwimmhalle am Brauhausberg passt. Aus rostbrauner Brühe wird in den Kesseln klares Wasser, weil Eisen und Mangan im Kies hängen bleiben. Wassermeister Bernd Rose prüft täglich die Arbeit der Filter mit seinem kleinen Chemiebaukasten. Der kleine quirlige Mann hat sein langes Haar zu einem Zopf gebunden. Er hat nie Zeit, ist immer auf dem Sprung. Schließlich muss er dafür sorgen, dass in der Stadt das Wasser läuft. Der Wassermeister ist von seinem „Produkt“ überzeugt. Das Potsdamer Trinkwasser sei äußerst gesund, beteuert er. Lebensmittelchemiker Erwin Walzer kann das bestätigen: „Das Potsdamer Leitungswasser ist ein sehr gutes Lebensmittel“, sagt der Experte für Mineralstoffe vom Ernährungswissenschaftlichen Institut der Universität Potsdam. In einem ist es sogar „besser als so manches Mineralwasser, das es im Supermarkt zu kaufen gibt“, sagt er: Es ist im Prinzip bakterienfrei. Kein Wunder, das Leitungswasser wird streng kontrolliert: Alle 14 Tage analysiert das Potsdamer Wasser- und Umweltlabor unser Trinkwasser. Stimmt irgendetwas nicht, wird sofort reagiert. Doch das sei schon lange nicht mehr nötig gewesen, sagt Karsten Zühlke vom Wassermanagement der Stadtwerke: „Zu DDR-Zeiten, da wurde desinfiziert, jetzt nicht mehr.“ Eine Chloranlage zum Desinfizieren hat das Werk aber trotzdem – für alle Fälle. Doch Bakterien haben in der kühlen Filterhalle keine Chance. In das hohe Backsteingebäude dringt kein Sonnenstrahl. Die Scheiben der wenigen Fenster sind blau eingefärbt. Wer die Leipziger Straße entlang fährt, kennt sie. Die Glasscheiben sind kein Designgag: Sie verhindern, dass Algen, die wie Blumen das Sonnenlicht zum Wachsen brauchen, die Wasserbehälter bevölkern. Keine Sonne – keine Wärme. In der Halle herrscht immer die gleiche Temperatur: 11 Grad, die Temperatur des Grundwassers. Da fühlt sich der Tropfen wohl. Im Winter wärmt das Wasser die unbeheizte Halle, im Sommer kühlt es. „Dann kriegen meine Mitarbeiter oft einen Schnupfen“, sagt Rose, weil sie in kurzen Hosen und T-Shirts in der winterlichen Kälte arbeiten. Ihm passiere das aber nicht mehr, er sei „schon abgehärtet“. Seit 1967 arbeitet er immerhin hier. Damals begann er seine Lehre zum Schlosser für Wassertechnik – im ältesten noch funktionierenden Wasserwerk Potsdams. 1900 ging es in Betrieb. Als zweites in Potsdam. Das erste hatte 1876 in der Bertinistraße eröffnet. Bei wie vielen Einwohner das Wasser schon damals aus der Wand floss, weiß niemand mehr. Heute gibt es fünf Wasserwerke in Potsdam, die rund 47 000 Haushalte beliefern: Die Wasserwerke in Wildpark, Nedlitz, Rehbrücke, Ferch und das in der Leipziger Straße. Es versorgt die Templiner und die Teltower Vorstadt, die nördliche Innenstadt und Teile von Schlaatz und Waldstadt. Fast zwei Millionen Kubikmeter jährlich fördert das Werk. In besonders warmen Sommern auch mal mehr. „Als es 2003 so heiß war, haben wir die zwei Millionen geknackt!“ Rose ist begeistert. Auf jeden Einwohner kommen rund 100 Liter Wasser am Tag – 100 Milchtüten voll zum Trinken, Waschen Toiletten spülen und Kaffeekochen. Bevor es bei den Potsdamern aus dem Wasserhahn kommt, fließt es aber erst einmal aus den Filterbehältern weiter in die Rohrgitter-Kaskaden. Die dicken blaue Rohre stehen senkrecht im grünen Gras am Havelufer. In ihnen wird der kleine Tropfen kräftig durch die Luft gewirbelt und, ohne dass er es merkt, belüftet: „Auf diese Weise erhöhen wir den Sauerstoffanteil“, erklärt Zühlke, „das ist gut für den Geschmack!“ Und dass das Potsdamer Leitungswasser eine wahre Delikatesse ist, darin sind sich Zühlke und Rose einig. Der Wassermeister trinkt sogar das unbehandelte Brunnenwasser gern, obwohl das wegen des hohen Eisengehalts etwas „blutig“ schmeckt. Gut belüftet und wohlschmeckend kommt das Wasser nun in ein unterirdisches Betonbecken – 1500 Quadratmeter groß. Hier wird das Wasser zwischengelagert. Von hier ziehen es Pumpen schließlich in das Rohrsystem der Maschinenhalle. Nach Brunnen, Kiesfilter und Belüftungsanlage die letzte Station im Wasserwerk. Aus der Maschinenhalle wird das Wasser ins Leitungsnetz der Stadt gepumpt. Nach dreißig Jahren Wanderschaft zur Leipziger Straße sprudelt es dann binnen weniger Stunden irgendwo in Potsdam aus dem Wasserhahn. Und wer weiß, in welcher Kaffeetasse der Regentropfen vom Sago-Gelände landet.

Juliane Wedemeyer

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