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Von Anja Wenzel: Ausflug mit dem Bikerverein

Elf Kinder der Oberlinschule sind gestern Motorrad gefahren

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Der Unterricht an der Oberlinschule beginnt wie an jeder anderen Schule um acht Uhr. Dieser Dienstag ist aber ein ganz besonderer Tag für die hörsehbehinderten und taubblinden Kinder und ihre Lehrer: Sie fahren zum ADAC-Fahrsicherheitszentrum nach Linthe im Süden von Potsdam. Dort sollen sie Motorradfahren lernen. Motorradfahren setzt Glückshormone frei, davon sind die Lehrer überzeugt.

Um acht Uhr vierzig werden elf Kinder von dem Bikerverein „Blue Knights“ abgeholt, zugleich die Patenbrigade der Oberlinschule. Vier Polizisten auf ihren Freizeitmotorrädern geleiten in Doppelformation die zwei Kleinbusse in Richtung Verkehrsübungsplatz. Das donnernde Geräusch der klassischen Cruiser-Maschinen knattert selbst im Bus noch. Obwohl es nicht alle Kinder hören können, sind die Kinder voller Vorfreude auf das Wagnis. Mit Armen in Lenkerstellung wird Gas gegeben, Griffe werden in der Luft gedreht. Die Stimmung ist übermütig, jemand ruft „Boah“.

Auf dem Verkehrsübungsplatz, auf dem sonst dritte Klassen ihren Fahrradführerschein ablegen, hupen die Biker laut und ermuntern die ersten Mutigen auf den Beifahrersitz zu klettern. Edi Haug, ein siebzehnjähriger Junge, der gehörlos ist und kaum sehen kann, mag Motorräder und traut sich. Beim Anschnallen des Helms und beim Aufsteigen hilft Miriam Winter, seine Lehrerin, die ihm sonst Lesen, Schreiben und Mathematik beibringt. Festgehalten, an die blaue Lederweste des Fahrers Roland Rödel gedrückt – und schon fährt die Maschine mit Edi langsam ab. Es wird geklatscht und einige rennen hinterher. „Cool, Edi fährt Motorrad!“ Nach ein paar kurvigen Runden auf der Strecke ist Edi mit Fahrtwind und einem Lächeln im Gesicht zurück. Wie es ihm gefallen hat, fragt ihn Miriam in der Lormensprache, einer Sprache, bei der Vokale und Konsonanten in die offene Hand gedrückt werden. Er flüstert ihr in Lautsprache ins Ohr, dass es gut war, „nur zu langsam“. Roland Rödel, der Vizepräsident der „Blue Knights“, lobt Edis Beifahrergefühl, er habe nicht zu fest und nicht zu locker gesessen, „hatte überhaupt keine Angst“. Dem hauptberuflichen Bundeswehrsoldaten macht die soziale Arbeit seines Biker-Vereins Spaß. Besonders schön sei es, das die Kinder ihre Emotionen zeigen, auch wenn ihnen etwas nicht gefällt.

Fast jeder der elf Kinder ist gefahren, mehrmals sogar, auch wenn es anfänglich gilt, Hemmungen zu überwinden. Die dreizehnjährige hörgeschädigte Sina überredet am Ende noch ihre Freundin Sabine, dass sie beide hinten drauf mitfahren. Maik, ein älterer Junge, geht vor der Fahrt auf visuelle Entdeckungstour. Die Motorräder faszinieren ihn wegen der Lichtreize, die er in den verchromten Motorwindungen, Spiegeln und Schweinwerfern findet. Der Leiter des Schulbereichs für Taubblinde und Sehbehinderte, Thorsten Burkhardt, ist am Ende des Tages auch glücklich. Es seien von seinen 36 Schülern elf dabei gewesen, die am meisten von dem spannenden Ausflug profitieren können. Gerade an das Feeling des Motorradfahrens erinnern sich die Kinder sicher noch lange.

Anja Wenzel

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