Landeshauptstadt: Auszug aus dem Bahnhof
Vier Tage wohnte Roos Versteeg im Einkaufstempel
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Innenstadt – Die Zahnpasta kommt in die Tasche, die vor vier Tagen gekauften Wechselklamotten werden eingepackt, der Tagebuch-Collegeblock verstaut, die Isomatte eingerollt: Auszug aus nicht einmal fünf Quadratmeter Kartonage, die Roos Versteeg in den vergangenen viereinhalb Tagen Heimat nannte. „Ich freue mich vor allem auf ein Bad.“
Ein paar Pappkartons als Sichtschutz, Regal und Tisch, waren ihr Zuhause in einem leerstehenden Laden der den Bahnhofspassagen – ein Experiment im Rahmen des Kunstprogramms „Localize – Das Heimatfestival“. „Ich wollte ausprobieren, ob es möglich ist, an einem öffentlichen Ort zu wohnen.“ Und: „Man kann es tatsächlich.“ Ihr erstes Fazit beim Auszug: Einkaufszentren haben eine merkwürdige Mischung aus einladenden Gesten und Dingen, die signalisieren, dass man nicht zu lange bleiben sollte.“ Zu hohe Temperaturen, trockene Luft und unablässig dudelnde Musik waren die größten Ärgerlichkeiten, die die 28-jährige gebürtige Niederländerin ertragen musste. Anstrengend waren für die Studentin des Masterfachs „Raumstrategien“ an der Weißenseer Kunsthochschule die ständigen Kontakte mit Menschen, die guckten, fragten, erzählten. „Ich bin sonst nicht so kontaktsuchend“, sagt Roos Versteeg. Doch oft erzählten Besucher selbst aus ihrem Leben, „das war dann schon interessant.“ Nur eine ältere Dame zeigte offen ihr Unverständnis über die Kunstaktion. „Und am Freitagabend kam ein offensichtlich Angetrunkener und wurde etwas lästig. Da bedauerte ich schon, dass ich mich nicht zurückziehen konnte und eine Tür hinter mir schließen konnte.“
Die Pappkarton-Behausung wird ab dem kommenden Dienstag die Ausstellung zum Festival in der Lindenstraße 15 bereichern. Bilder, die eine Kamera jede Stunde von Roos Versteegs „Wohn-Projekt“ geschossen hat, komplettierten die Dokumentation. Ob man dann auch die einsamen Stunden in der Nacht sehen wird? „Manchmal hatte ich schon etwas Angst“, gesteht die 28-Jährige. Kurzweil bot da der Besuch von Freund und Bekannten an einem Abend. „Ich habe sie so lange wie möglich festgehalten.“ Umso schwerer wurde der Abschied. „Ich habe sie bis zum Zug gebracht, es war ja nicht weit. Da wollte ich am liebsten mitfahren“, erinnert sie sich. Getröstet hat sie sich mit Erinnerungen an die eigene Kindheit. „Beim Leben in der Pappkarton-Höhle kamen viele Erinnerungen hoch, denn ich habe als Kind viele Buden gebaut.“ KG
Ausstellung zu „Localize - Das Heimatfestival“ vom 22. bis 24. Oktober findet in Lindenstraße 15 statt. Das Programm gibt es im Netz unter www.heimatfestival.de.
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